1. Rapunzel 01


    Datum: 19.10.2018, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... Semester Zoologie war und sie sich hauptsächlich mit anorganischer Chemie, Physik und Mathe beschäftigen musste. Aber anders als viele ihrer Kommilitonen tat sie sich mit den Nebenfächern nicht allzu schwer, sie fand an allem etwas interessantes. Was sie belastete, war nicht das Studium selbst, sondern dass Mick sich nach wie vor vollkommen mit einbrachte. Wie schon zu Schulzeiten spielte er Taxi, brachte sie jeden Tag hin und holte sie nach den Lehrveranstaltungen wieder ab. Aber die Kurse fanden nicht wie der Schulunterricht von acht Uhr morgens bis nachmittags statt. An einigen Tagen musste sie erst um zehn in der Uni sein, manchmal hatte sie schon mittags frei, dann wieder erst um halb fünf. Für Mick bedeutete das, dass er morgens früh zur Arbeit fuhr, ein paar Stunden später wieder nach Hause um Tanita zur Uni zu fahren, dann wieder zur Arbeit, schließlich holte er sie wieder ab und brachte sie nach Hause und fuhr ein drittes Mal wieder zurück zur Arbeit. Tanita konnte sich nicht recht vorstellen, wie er es fertigbrachte, dass sein Chef dieses Hin und Her tolerierte, aber ihr war klar, dass er seine Pausenzeit allein darauf verwendete, sie zu chauffieren. Wenn die Fahrerei länger in Anspruch nahm, musste er die Zeit natürlich später abarbeiten -- ein Grund, dass er nicht besonders begeistert war, wenn sich eine ihrer Übungen länger hinzog, als sie laut Stundenplan sollte. Mick sprach es zwar nicht aus, doch Tanita spürte, dass ihm der ganze Aufwand zunehmend auf die ...
    ... Nerven ging. Wie sollte es bloß die weiteren fünf Semester laufen, die sie noch vor sich hatte?
    
    „Du...", fing sie vorsichtig an, als sie an einer Ampel halten mussten. Sorgfältig legte sie sich zurecht, was sie sagen wollte -- und vor allen Dingen wie. Was sie jetzt auf keinen Fall gebrauchen konnte, war Streit.
    
    „Na, was denn?" Er klang nicht direkt ungeduldig, eher etwas müde.
    
    „Dass du mich immer überall hinfährst und abholst...", sie zögerte, „macht dir das wirklich nichts aus?"
    
    „Spinn mal nicht", brummte er. „Seh ich etwa schon so alt aus?"
    
    „Quatsch. Aber erstens verfährst du jede Menge Benzin und zweitens kannst du dich überhaupt nicht mehr richtig auf deine Arbeit konzentrieren."
    
    „Lass das mal meine Sorge sein. Solange du meine Unterstützung brauchst, wirst du sie auch kriegen, und wenn das bedeutet, dass ich hundertmal am Tag hin und her fahren muss."
    
    „Aber wenn es dir mal aus irgendeinem Grund zu viel werden
    
    sollte
    
    ", sagte Tanita noch vorsichtiger, „hab ich ja immer noch mein Semesterticket."
    
    Erst befürchtete sie, Mick würde einen Wutanfall bekommen und sie anbrüllen, sie solle gefälligst nicht so undankbar sein oder so etwas in der Art. Er runzelte zwar die Stirn und stieß geräuschvoll die Luft durch die Nase aus, aber er beherrschte sich.
    
    „Du willst also lieber allein mit dem Bus fahren, ja?", knirschte er. „Und dich von irgendwelchen perversen Drecksäcken angehen lassen, was?"
    
    „Es sind ja nicht nur solche Leute unterwegs", antwortete ...
«12...8910...16»