1. Rapunzel 01


    Datum: 19.10.2018, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... Fall, dass sie unterwegs waren und sich aussperrten. Den nahm sie, schloss die Tür ab und ging mit weichen Knien die Treppe hinunter. Als sie die schwere Haustür aufzerrte und auf die Straße trat, hielt sie einen Moment inne. Sie hatte das Gefühl, als müssten die wenigen Passanten, die unterwegs waren, sich nach ihr umdrehen, als müssten die Autofahrer auf die Bremse treten und sie anstarren.
    
    „Jetzt hör auf!", wies sie sich selbst zurecht. „Wer soll sich denn für dich interessieren? Du gehst nur schnell was einkaufen, genau wie jede Menge andere Leute auch. Das ist völlig normal und in Ordnung."
    
    Zügig machte sie sich auf den Weg. Bis Mick da sein würde, hatte sie noch jede Menge Zeit.
    
    „Fahr zu, du Armleuchter!"
    
    Normalerweise benutzte er wesentlich derbere Ausdrücke beim Autofahren, aber heute war er guter Stimmung. Die nächsten zwei Wochen musste er keinen Gedanken an diesen Saustall von einer Werkstatt verschwenden. Zwei Wochen Freiheit, die ihm mit Tanita sicher nicht langweilig werden würden. Er grinste in sich hinein. Die Arbeit der letzten Zeit steckte ihm ziemlich in den Knochen, dagegen musste sein Mädchen dringend etwas unternehmen. Wahrscheinlich würden sie die ersten Tage nicht oft aus dem Bett kommen.
    
    Eigentlich könnte er ihr mal wieder etwas Schönes mitbringen. Aus Blumen machte sie sich nichts, aber mit Schokolade konnte er ihr zwischendurch immer eine kleine Freude machen. Kurzentschlossen bog er rechts ab und fuhr auf den Parkplatz des ...
    ... kleinen Supermarkts, einen Block von ihrer Wohnung entfernt. Er würde ihr eine große Schachtel Pralinen kaufen, vielleicht eine etwas teurere Sorte. Sollte sich ja lohnen.
    
    Er mochte den Laden im Grunde genommen nicht besonders, er wirkte so wie eine kleine heruntergekommene Klitsche auf dem Land, wo die letzten Heuler arbeiteten und jeder jeden kannte. Aber extra zum Einkaufen in die Innenstadt zu fahren, dafür war er erstens zu faul und zweitens war ihm das Benzin zu schade.
    
    Zum Glück fand er schnell, was er suchte. Mit der Schokolade unter dem Arm trat er zwischen den Regalen hervor -- und stieß mit jemandem zusammen. Automatisch murmelten beide eine Entschuldigung. Im nächsten Moment erstarrten sie und er riss ungläubig die Augen auf.
    
    „Ich glaub, ich spinne", knurrte er schließlich die junge Frau an, die allem Anschein nach am liebsten im Boden versunken wäre.
    
    „Mick", sagte Tanita mit schwacher Stimme und versuchte ein Lächeln. „Was machst du denn hier?"
    
    „Das sollte ich besser dich fragen!" Ganz von allein wurde seine Stimme lauter, der Tonfall schärfer.
    
    „Mehl kaufen", kam es noch zaghafter von ihr zurück und sie hielt die kleine Packung hoch.
    
    „Wofür zur Hölle brauchst du Mehl?"
    
    „Ich..."
    
    „Warum rufst du mich nicht an, wenn du irgendwas haben willst? Ist das so schwer, hm?"
    
    „Guten Tag, Herr Steffen", grüßte der Marktleiter ihn auf seine übliche schleimige Weise. Mick zuckte fast zusammen. Er war so wütend, dass er den alten Sack gar nicht bemerkt ...
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