1. Eisen und Eis


    Datum: 06.10.2017, Kategorien: Schwule

    ... mit äußerster Sachlichkeit. »Ich bin Ilarion Alexandrowitsch."
    
    »Ilarion«, wiederholte er. »Aus dem Griechischen: ἱλαρός – heißt so viel wie heiter oder fröhlich.«
    
    Das hatte ich nicht gewusst. Und schon gar nicht hatte ich erwartet, dies vom Liebhaber meiner toten Mutter zu erfahren.
    
    »Man nennt mich Lasha. Und dich?«, fragte ich, obschon ich den Namen hundertmal seit gestern gelesen hatte.
    
    Gestern.
    
    Seit sie sie in den Morgenstunden gefunden hatten, mit dem Gesicht nach oben im Fontanka-Kanal flottierend wie ein präraffaelitisches Gemälde.
    
    »Du bist entweder gekommen, um mich umzubringen oder zu verhaften«, sagte er. »Ich werde meinen Frieden mit beidem machen.«
    
    Ich zögerte.
    
    »Nein«, sagte ich leise, und die Worte waren fragil wie Asche, in der Gefahr davon geblasen zu werden, wären wir nicht in seinem stillen, warmen Studio gewesen. »Ich kam zu sehen, wie du trauerst.«
    
    Ich schritt vorwärts, langsam. Meine Stiefelabsätze klackten auf dem Studioboden, ein markanter Kontrast zum geräuschlosen Aufsetzen seiner nackten Füße mit ihren tadellos umbundenen Fußgewölben. Weiße Tape-Streifen, an den Rändern vom Tanzen auf dem glattgelaufenen Parkett schwach staubverfärbt.
    
    »Ich will, dass du mir zeigst warum«, sagte ich und drängte ihn gegen die Wand, unaufhörlich, stierte in seine Augen. »Was an dir … rechtfertigte, dass sie dieses Risiko einging.«
    
    »Ich kann nicht«, sagte er, doch erwehrte sich meiner nicht.
    
    »Warum nicht«, sagte ich, spielerisch, ...
    ... innerlich erpicht.
    
    Meine Hände ruhten auf seinen wohlgeformten Schultern, resolut und eisernfest, trotz ihres behutsamen Drängens. Ich kannte ihn, denn ich hatte seine Akte eingehend studiert, mit einer Flasche Scotch in meiner Hand und einem Glas – unbenutzt – auf dem Schreibtisch. In der Entscheidung darüber, was ich von diesem Genossen von mir halten sollte, zu dem Avdotia eine Frau gewesen war und nicht eine Mutter oder eine Spießgesellin in einem fehlgelebten Sozialexperiment.
    
    Ich hatte auch noch etwas Anderes über ihn erfahren. Etwas, das mich zu diesem Moment führte, ungekünstelt und roh.
    
    »Ich habe deine Akte gelesen«, sagte ich.
    
    »Ich kann mir vorstellen, was du denkst –«
    
    »Kannst du?«
    
    Stille, in der er aufblickte, langsam.
    
    Ich packte fester zu, strich seine Arme entlang, wo unter den Drei-Viertel-Ärmeln seines schwarzen Tänzer-Jerseys sich die Muskeln wanden. Der Halsausschnitt seines Pullovers war weit und reichte bis unter sein Schlüsselbein, zeigte eine Spur seiner skulpturierten Brust, der kuppelhaften Erhebung seiner Schulter. Sein Körper schimmerte beinah unter meinem Griff, brummte wie unter Strom stehende Untergrundkabel.
    
    Er war der ihre gewesen. Ihre Konterbande, ihr Vergnügen abseits des Staates.
    
    Es fühlte sich natürlich an, wie die brechende See, als ich seinen Arm ergriff und seinen Kuss brutal als den meinen einforderte.
    
    Mir schien, der Tänzer war dem Wahnsinn nahe gewesen, denn sein Mund traf auf meinen wie die Pranke eines ...
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