1. Eisen und Eis


    Datum: 06.10.2017, Kategorien: Schwule

    ... schweigend, seine Miene kryptisch.
    
    Ich weiß, was er sah.
    
    Meine stahlgraue Uniform, von der Kappe, dem Mantel bis zur Jodhpurhose zu groß, polierte Stiefel, die bedrohlich an meinen Waden krallten. Augen, hell grün-grau wie das Eis sibirischer Flüsse, blondes Haar, glatt zurückgekämmt von meiner Stirn.
    
    Mit voller Absicht, denn es schärfte die Strenge meines Gesichts und die Linie meiner vollen Lippen.
    
    »Du bist vom MWD«, sagte er schließlich.
    
    »Ja«, sagte ich. »Sicher hat Avdotia dir erzählt, dass ihr Ehemann einer der Ministeriumsdirektoren ist.«
    
    »Avdotia?« Er schmunzelte bitter. »Ich kannte sie als Euadne. Neben all den anderen.«
    
    »Den anderen?«
    
    »So einige Euadnes sind gekommen und gegangen und machten mich zu ihrem Apoll.«
    
    »Die gelangweilten Ehefrauen von Parteimännern beschlafen«, sagte ich, mit einem unartikulierten Schnauben. »Wie bourgeois.«
    
    Er hielt inne.
    
    »Sie war meine Favoritin.«
    
    »Sie war meine Mutter.«
    
    Der trockene Ton meiner Stimme schien ihn zurück zum eigentlichen Thema zu bringen.
    
    »Und nein. Sie erzählte mir nie, dass ihr Mann ein Ment sei. Geschweige denn ihr Sohn.« Seine Augen schienen widerwillig mein Gesicht zu suchen, aber er konnte nicht aufhören, studierte mich von jenseits des leeren Raums zwischen uns. »Du siehst ihr ähnlich.«
    
    »Gelegentlich.«
    
    Er nickte, langsam.
    
    »Du siehst auch jemand anderem ähnlich.«
    
    »Ihm.«
    
    Er schüttelte den Kopf, legte seine Hände auf seine Stirn.
    
    »Ja, natürlich«, sagte er ...
    ... leise. »Natürlich würdest du.«
    
    »Du bist jung«, sagte ich.
    
    Ein Tänzer, natürlich – ich wusste, dass er jung sein würde. Etwas Anderes aber war es, ihn hier in diesem weiten Raum zu sehen, mit seinem überlangen Wolljersey und seinem sorgsam geformten Körper, kaum älter als ich es war.
    
    »Sie meinte, ihr Sohn sei sieben«, sagte er stockend. »Ein kleiner Junge.«
    
    Ich zog eine verwunderte Miene, fühlte einen flüchtigen, irrationalen Schmerz, obschon ich wusste, dass es keine Absicht ihrerseits war, Andrei allein zu erwähnen.
    
    »Sie hat zwei Söhne«, entgegnete ich. »Ich bin derjenige, über den sie nicht mit ihren Liebhabern spricht.«
    
    Ich verstand warum. Die Illusion erforderte es, denn hätte sie über mich gesprochen, wäre sie gezwungen gewesen über das nachzudenken, was sie tat, wer sie war und was dieser junge Mann für sie war. Ob er irgendein krankes Ödipus-Surrogat war.
    
    Im Innern jedoch blieb die Qual der Ungewissheit und die unauslöschliche Erinnerung ihrer eigenen Worte an meinen Vater, den MWD-Polkownik, an jenem Tag, als er von der Affäre erfahren und sie aus dem Haus getrieben hatte – der Tag, an dem er sie zum Sterben getrieben hatte.
    
    Du hast bereits Ilarion verdorben. Musst du auch Andrei noch zerstören?
    
    Der Tänzer neigte seinen Kopf, verschüttete ein Geflecht weichen Haares über sein Kinn.
    
    Seine Augen schienen über mir zu schweifen wie Stoßtaucher, dem Himmel nicht ganz verbunden.
    
    »Dann bist du nicht Andrushka«, sagte er.
    
    »Nein«, antwortete ich ...
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