Weeslower Chroniken Teil 1 - Nadine - 1997
Datum: 24.03.2018,
Kategorien:
Kunst,
... sich vor den anderen eine Entschuldigung zu suchen.
Sie setzte sich endlich, das neue Handtuch wie ein Turban um den Kopf gewickelt und nahm die angebotene Limonade an.
Man sprach über die kommenden Aufgaben, die ein jeder der Gruppe bei der Planung des kirchlichen ´Jugendhofes´, der teilweise im an Michaels Haus angrenzenden alten Stall und teilweise in einem alten Resthof in der Nähe am Weeslower See untergebracht werden sollte. Bis zum nächsten Sommer war nicht mehr viel Zeit, um alles, insbesondere den Innenausbau, zu bewältigen.
Etwa eine halbe Stunde, nach der Nadine zur Gruppe hinzu gestoßen war, kam ein weiterer Gast. Ein kleiner, etwa fünfzigjähriger Mann mit einem stattlichen Bauch trat lärmend und jovial grüßend auf die Terrasse. Es handelte sich, wie sie erfuhr, um Hans Weber, einen westfälischen Bauunternehmer, der in der Nähe ein Gut aufgekauft hatte, dass er irgendwann einmal zu einem Urlaubshotel umbauen wollte, und der sich als Investor in den Jugendhof angeboten hatte. Er war Nadine in seiner raumgreifenden, distanzlosen, lauten Art auf Anhieb unsympathisch. Hatte sie sich bis eben in ihrer Nacktheit einigermaßen wohl gefühlt angesichts dieser überaus angenehmen Menschen am Tisch, spürte sie nun sofort den Drang, sich bedecken zu wollen. Diesem Typen mochte sie sich nicht so zeigen.
Dennoch, es gab nichts, was sie hätte hernehmen können, und schon erhoben sich erneut alle, um den neuen Gast lautstark und herzlich zu begrüßen. Wohl oder übel ...
... musste sie nun mitmachen. Sie bemerkte auch schon, wie dieser dicke Hans unentwegt neugierig zu ihr herüberschielte, während er die anderen umarmte. So ziemlich zuletzt kam sie an die Reihe und wurde von Michael vorgestellt.
Die Stimme des dicken Hans war piepsig, aber laut, sein Blick indiskret musternd, seine ganze Art eingebildet und schmierig. Sein Händedruck war jedoch kräftiger als sie es vermutet hatte, ihre Hand schmerzte danach. Was fanden sie alle an dem?
Es musste wohl sein Geld sein, dachte sie. Die ganze Gruppe setzte sich wieder, doch nun sprach erstmal nur noch Hans. Er plauderte von seiner anstrengenden Herfahrt, entblödete sich auch nicht, vor all den Einheimischen die schlechten Landstraßen zu beklagen, streute immer wieder wenig lustige Sprüche ein, über die nur er lachte, die andern mühsam lächelten, und die ganze Zeit wurde Nadine das Gefühl nicht los, dass er das alles nur in ihre Richtung tat. Oh Gott, wie schrecklich, dachte sie, der will mich womöglich beeindrucken. Vor dem muss ich mich in acht nehmen.
Die anderen aber verhielten sich auf eine schreckliche Art unterwürfig. Selbst Michael schien nicht er selbst zu sein. Nadine war der Spaß vergangen. Aus diesem Grund erhob sie sich und meinte, sie würde nun gern Wiktor und Tomasz helfen gehen. Ein bisschen unhöflich war dieser plötzliche Abgang, mitten in einer unheimlich spaßfreien Anekdote des dicken Hans, ja schon, aber genau dieses Desinteresse wollte sie ihm auch deutlich zu verstehen geben. ...