1. Rapunzel 02


    Datum: 21.02.2018, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... konnte er doch im Moment nicht gebrauchen, oder?
    
    Tanita schaute ihm gerade in die Augen, möglichst ohne mit der Wimper zu zucken. „Ach, Mick. Ich hab keine Ahnung, warum. In den letzten Tagen geht bei mir irgendwie alles drunter und drüber. Das war so ein Schock, als dein Chef mir gesagt hat, dass du im Krankenhaus bist. Ich hatte solche Angst, dass dir was richtig Schlimmes passiert sein könnte. Und dann... dann hab ich mich gefreut, dass es dir langsam besser ging und fand es gleichzeitig schlimm, dich immer hier alleine lassen zu müssen. Tja, und jetzt... jetzt weiß ich irgendwie gar nicht, was ich dazu sagen soll, dass du nach Hause kommst. Das ist alles so..."
    
    „... viel", sagte er, plötzlich verständnisvoll. „Komm mal her."
    
    Während sie sich auf die Bettkante sinken und in die Arme nehmen ließ, dachte sie, dass sie zumindest nicht gelogen hatte. Sie hatte ihm zwar nicht die ganze Wahrheit gesagt, nicht alles, was sie bewegte -- aber zumindest einen Teil davon.
    
    „Weißt du eigentlich", murmelte Mick und streichelte ihr übers Haar, „dass ich sehr stolz auf dich bin?"
    
    Verlegen schmiegte Tanita den Kopf an seine Schulter. „Womit hab ich das denn verdient?"
    
    „Na, einfach so von jetzt auf gleich quasi alleine dastehen, dabei noch einen klaren Kopf bewahren und jemand anderem Trost und Kraft spenden -- das soll dir erst mal jemand nachmachen."
    
    „Das ist ja wohl gar nichts dagegen, von heute auf morgen für ein fremdes Kind verantwortlich sein zu müssen."
    
    Er ...
    ... schwieg einen Moment nachdenklich. „Du warst ja nicht fremd für mich. Wir kannten uns schließlich schon ungefähr drei Jahre. Wenn du noch ein Baby gewesen wärst, hätte ich mich wohl auch schwerer getan. Aber du hast es mir ziemlich einfach gemacht."
    
    Sie schnaubte. „Einfach? So weit ich mich erinnern kann, hab ich die ersten Wochen ständig geheult und dich gefragt, wann Mama und Papa wieder da sind, weil ich nicht kapieren wollte, was mit ihnen passiert ist."
    
    „So was will keiner kapieren", meinte er fast grimmig. „Weißt du, was ich damals manchmal gedacht habe? Es war ungefähr ein halbes Jahr, bevor deine Eltern den Unfall hatten, als Uwe mich gefragt hat, ob ich dich zu mir nehmen würde, falls deiner Mutter und ihm mal was passieren sollte. Als sie dann wirklich... also, in der ersten Zeit hab ich mich tatsächlich gefragt, ob ich den Tod meiner Freunde irgendwie heraufbeschworen habe, nur weil meine Antwort damals „Ja" war."
    
    Überrascht hob Tanita den Kopf. „Das hast du mir noch nie erzählt."
    
    „Weil es Schwachsinn ist. Wenn ein Unglück passiert, das man nicht verhindern konnte, macht man sich manchmal die bescheuertsten Vorwürfe. Aber mit Gedanken bringt man keinen Zug zum Entgleisen. Abgesehen davon hab ich bloß deshalb zugesagt, weil ich weder deine Eltern noch dich enttäuschen wollte. Ehrlich gesagt konnte ich mir mit 23 Jahren nämlich nichts weniger vorstellen, als plötzlich Ziehvater zu sein." Er drückte sie an sich. „Und heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, ...
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