Vom Leid des Erwachsenwerdens
Datum: 24.12.2017,
Kategorien:
Romane und Kurzromane,
... zeigte ich, wild gestikulierend, mit weit geöffnetem Schnabel auf meinen Hals, da sprechen außerhalb jedweder Diskussion ist, wenn man gerade erstickt. Zum Glück erkannte sie die prekäre Situation sofort, aber leider nicht in der gesamten Tragweite und gab mir Mineralwasser zu trinken, da sie noch nicht ganz begriffen hatte, das der vermaledeite Bonbon in der Luftröhre steckte. Über dem Kühlschrank hing ein Spiegel, in dem ich mich und meinen Gesichtsfarbwechsel betrachtete. Zuerst war ich rot, dann blaß und immer blässer, bis ein leichter Blauton eintrat. Das war für meine Großmutter der Punkt an dem sie vollends begriff. Sie versuchte mich auf den Kopf zu stellen. Sie war zu schwach, die Gute. So klopfte sie mit einem Stocheisen, ein Gerät welches man zur Durchlüftung von Brikettladungen in Kohleöfen braucht, um die Brennleistung unter Zuführung von Sauerstoff zu steigern, an ein in der Zimmerecke verlaufendes Metallrohr. Das war das Zeichen für ihre Schwester, die unter uns wohnte, sofort die Hufe zu schwingen und presto in der dritten Etage anzutanzen. Was sie auch prompt tat, denn sie war die jüngere Schwester. Damals zählte das noch. Nach einer sehr knapp gehaltenen Einführung in das Geschehene, denn Zeit war Leben, stellte man mich nun, mit vereinten Kräfte kopfwärts und trat mir kräftig in die Lungenflügel. Äußerst unangenehm, sage ich euch. Ich schätze, daß vom Zeitpunkt des Verschwindens des Bonbons, ca. 3-4 Minuten vergangen und bis jetzt alles ziemlich normal ...
... verlaufen war. Was man so normal nennt, wenn man davon absieht, daß gerade ein kleiner Junge dabei ist den letzten Furz abzunabeln. Denn von letztem Atemzug kann hier, mit Sicherheit, keine Rede sein. Nun aber kam das Außergewöhnliche. Ich strampelte mit meinen Beinen, die beiden alten Frauen fest in ihren Händen hielten, um zu signalisieren, daß sie aufhören sollten. Sie begriffen schnell. Langsam ließ man mich zuboden gleiten. Wir spürten alle, daß es zuende ging. Ich wollte nur noch sterben. Sterben in Ruhe und Würde. Nicht wie ein Punching-Ball, kopflings hängend und mit Füßen malträtiert. Langsam ging ich zu einem, in der Wohnküche befindlichen Sofa, setzte mich und starrte vor mich hin in Erwartung des Todes. Ich hatte keine Angst. Die Panik war unsäglicher Ruhe und Zufriedenheit gewichen. Ein Gefühl, das Worte nicht beschreiben können und ich werde es auch hier und jetzt nicht versuchen. Eines Tages wirst auch du es verspüren und genau wissen, was ich gemeint habe. Wie in einer Kamerafahrt, sah ich mich auf der Couch sitzen, als meine Seele, nur so kann ich es beschreiben, sich langsam mit stetiger Geschwindigkeit, über mich hinweg, von mir und dem Zimmer entfernte. Ich schaute nicht mehr durch die Augen meines da unten sitzenden Körpers. Ich sah mit meiner Seele. Das Sterben fängt also vor dem medizinischen Exitus schon an. Erstaunlich, nicht wahr? Ich sah meine Großmutter und Tante in der Ecke der Wohnküche bei der Eingangstüre zum Flur hin stehen, sich in den Armen ...