1. Vom Leid des Erwachsenwerdens


    Datum: 24.12.2017, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... war mir nicht klar (Ja, Todesgefahr, denn das Wort Lebensgefahr ist schlicht falsch). Meine Spielkameraden behandelten mich immer noch wie einen riesigen Eiterpickel auf dem makellosen Gesicht einer 14jährigen. Ein Mädchen überquerte die Straße. Ein Mädchen dessen Namen ich nicht vergessen, sondern nie gewußt habe, obwohl sie direkt gegenüber wohnte. Sie war ein Trümmerhaufen. Als sie mit einem irren Lächeln, das aus Unsicherheit gepaart mit dem der Trümmerhaufen eigenen, zielstrebenden Killerinstinktes, auf mich zukam, wollte ich schon das Weite suchen. Hätte ich es nur mal gemacht. Ich erspähte aber mit sicherem Blick das Objekt meiner Begierde, welches sie in ihrer rechten Hand trug. Eine Tüte Bonbons. Sie stellte sich vor mich, betrachtete ihre Fußspitzen und sang: "N'Tach, Alexander". Bevor ich überhaupt antworten konnte, hielt sie mir kommentarlos die Tüte unter das Brustbein.
    
    Englische Drops! Sauer, gut, dick, rund, und so groß wie ein Fünfmarkstück. Ich suchte einen grünen aus. In freudiger Erwartung von Waldmeistergeschmack, den ich so liebte, bedankte mich, schälte ihn sogleich aus seiner Klarsicht-Zellophan-Verschraubung und steckte ihn mir genüßlich in das, für solche Dinge vorgesehene Loch direkt unter der Nase.
    
    Gott, war der sauer! Schon der allererste, kurze Kontakt mit meiner Zunge brachten Maltase und Zymase in meiner Mundhöhle in Wallung. Wahre Ströme von Speichel schossen in meinen Mundraum und leider auch dahin, wo sie eigentlich nichts zu suchen ...
    ... hatten, in meine Luftröhre, was mich prompt zum Husten brachte. Den verirrten Speichel brachte ich zwar heraus, dafür nahm aber nun der Bonbon seinen vorherigen Platz ein. Meine Zunge ertastete alles, aber nur keinen Bonbon. "Scheiße" dachte ich bei mir. Wie gewonnen, so zerronnen. Ich machte mir keine Sorgen darüber, da ich Weltmeister im Verschlucken war. Vor mir waren auch Kaugummis nicht sicher. Anstatt sie, nachdem sie jenseits der Geschmacksgrenze waren, auszuspucken, oder wie jeder normale Junge es tat, sie unter einem Möbelstück anzubringen, schluckte ich sie einfach runter. Ende-Gelände. Das Mädchen war auch schon wieder auf der anderen Seite der Straße angelangt und ich wollte die Sache schon vergessen, als ich bemerkte, daß ich keine Luft mehr bekam. Was tun? Ich versuchte zu husten. Aber in Ermangelung von Luft ein nicht so einfaches Unterfangen. Denn zum erfolgreichen Abhusten gehört nunmal vorderhand auch ein ebenso erfolgreicher, kräftiger Atemzug. Der war nunmal nicht drin, momentan. Da ich bis zu diesem Tage recht wenig Erfahrung mit dem Erstickungstod habe sammeln können, wurde mir erst dann klar, daß etwas völlig im Bogen lief. Ich schätze, daß zu diesem Zeitpunkt schon eine wertvolle Minute vergangen war. Ich klingelte Sturm bei meiner Großmutter. Es dauerte, für mich, eine Ewigkeit bis sie endlich den Türöffner drückte. Ich wetzte mit einer affenartigen Geschwindigkeit die drei Stockwerke hoch und mußte meine Großmutter erst noch suchen. Als ich sie fand ...
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