1. Silvis Wuensche


    Datum: 13.08.2020, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie

    Das Licht, das durch Silvis Bürofenster fiel, wurde schwächer und sie knipste die Schreibtischlampe an. Konzentriert überflog sie die Spalten der ausgedruckten Tabellen und glich sie mit den Zahlen auf ihrem Bildschirm ab. Wenn sie keinen Fehler entdeckte, wäre sie für heute mit der Arbeit fertig und käme ausnahmsweise einmal nach Hause, bevor es richtig dunkel wurde.
    
    Als die Tür aufgerissen wurde, schrak sie auf. Fabian kam wie üblich ohne anzuklopfen, Gruß oder sich für die Störung zu entschuldigen herein, das gewohnte breite Lächeln im Gesicht. Silvi beruhigte sich und lächelte zurück. Sie nahm an, dass sein Verhalten in Ordnung war, denn schließlich war er, obwohl nur 22 und damit zwei Jahre jünger als Silvi, bereits Teamleiter und damit ihr Vorgesetzter. Mit dem Fuß drückte er die Tür hinter sich zu.
    
    Auf den Tratsch in den Fluren, wonach er die Führungsposition nur bekommen hatte, weil er die Tochter des Finanzvorstands geheiratet hatte, gab sie nichts. Sie mochte ihn, weil er immer nett zu ihr war und ihr nie ankreidete, dass sie schüchtern und unsicher war. Die anderen Kolleginnen und Kollegen hielten sie dagegen, weil sie fast nie mit ihnen redete, für eine hochnäsige Zicke.
    
    Fabian wedelte mit ein paar Blättern Papier herum.
    
    „Das sind die Monatsberichte der Regionalverkaufsleiter", erklärte er im Tonfall eines Vorwurfs, „mein Schwiegervater will sie morgen früh in der Vorstandssitzung präsentieren und braucht dafür ein paar Folien mit einer ...
    ... Zusammenfassung und passenden Grafiken. Ich weiß nicht, wie ich das noch pünktlich schaffen soll."
    
    „Soll ich das für dich erledigen?", bot Silvi an.
    
    Sie erwähnte nicht, dass er zwei Stunden lang in der Teeküche mit diversen Kollegen geschwatzt hatte, was er „Pflege des Betriebsklimas" nannte. Den Rest des Nachmittags hatte man ihn durch die offene Tür von Lydias Büro auf der Kante deren Schreibtischs sitzen sehen. Silvi wünschte sich manchmal, eine ebenso ausladende Oberweite wie Lydia zu haben. Dann würde Fabian vielleicht genauso viel Zeit bei ihr im Büro verbringen und sie von oben ansehen.
    
    Sie spürte, wie ihr bei diesem Gedanken die Röte ins Gesicht stieg. Wobei Silvi es nie über sich bringen würde, sich auch so freizügig zu kleiden wie die Kollegin. Ihre weißen oder pastellfarbenen Blusen trug sie immer hoch geschlossen und sie vermied körperbetonte Schnitte.
    
    „Ich wusste, dass du das sagst. Du bist ein Schatz."
    
    Fabian warf seine Papiere mit Schwung auf ihren Schreibtisch. Silvi konnte sie gerade noch festhalten, bevor sie auf den Boden segelten. Am Druckdatum in der Fußzeile der Dokumente erkannte sie, dass sie bereits über eine Woche alt waren.
    
    „Wann brauchst du die Präsentation?", fragte sie.
    
    „Die Vorstandssitzung beginnt wie jede Woche um neun. Aber er will sie immer eine Stunde vorher haben, um sie durchlesen zu können. Am besten machst du sie also heute Abend noch fertig."
    
    „Kein Problem. Ich fange gleich damit an."
    
    Fabians Lächeln wurde noch breiter, ...
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