Der Paragrafenhengst - Von trabenden Fragen
Datum: 09.12.2017,
Kategorien:
Macht / Ohnmacht
... mich finster an. Bevor ich es ihm gleich tue, trete ich mit dem Fuß gegen die Tür, damit keiner diese Schmierenkomödie hören muss. Außerdem hasse ich es, wenn so etwas breitgetreten wird.
„Warum beharren Sie auf diesem Komma? Warum müssen Sie unbedingt Recht haben?“, meine nicht vorhandenen Augenbrauen ziehen sich soweit zusammen wie möglich.
„Frau Stele, ich arbeite schon wesentlich länger in diesem Unternehmen, ich weiß, was richtig ist. Und dieses Komma ist es.“, Luft entweicht seine Nasenflügeln.
„Das Komma ist richtig, aber die Mehrzahl der Kunden wird es als falsch ansehen! Und Sie arbeiten zwar in diesem Unternehmen, aber nicht so viel mit Kunden! Sie bekommen immer nur die Fälle, in denen es um Rechtliches geht, vom normalen Geschäftsverkehr haben Sie doch keine Ahnung!“
Als ich bemerke, wie niveaulos die Diskussion wird, stehe ich auf und stelle mich mit verschränkten Armen an den Schrank.
„Sie können es einfügen – aber dann müssen Sie das Schreiben abtippen. Von mir bekommen Sie die Datei nicht.“
Meine Ansage hat gesessen. Und sie war nicht richtig. Das wusste ich in dem Moment, in dem sie meinen Mund verließ. Wir tun alle unsere Arbeit so gut wir können. Und wir werden dafür bezahlt. Vor allem werden wir dafür bezahlt, dass wir schnell und effektiv arbeiten und uns nicht an fehlenden Kommata aufgeilen. Aber in Sprachfragen bin ich genauso unnachgiebig wie er in Rechtsangelegenheiten. Und ich bin es gewohnt, dass wir einen Kompromiss finden – ...
... meistens gibt er mir recht und in 50% aller Konflikte nehme ich seinen Vorschlag an – trotzdem! Nur heute klappt es nicht. Ganz im Gegenteil: er hat sich in seinem Stuhl zurück gelehnt, die Arme verschränkt und sieht mich genauso starr an wie ich ihn. Vermutlich könnten wir noch die nächsten Stunden hier sitzen. Als das Telefon klingelt, hebt er nicht ab. Doch das Telefon hört nicht auf. Schließlich legt er den Hörer daneben. Dann lässt er den Schlüssel über den Tisch gleiten.
„Was soll das?“, frage ich gereizt.
„Wenn Sie möchten, können Sie die Tür abschließen. Ich möchte nicht, dass jemand hereinplatzt“, es klingt nicht so bedrohlich, wie man es aus Horrorfilmen kennt.
Nach kurzem Zögern stecke ich den Schlüssel ins Schloss und drehe. Dann lege ich ihn wieder auf die Tischplatte.
Schweigend sehen wir uns an. Ich höre seinen Atem. Er saugt Luft ein und stößt sie aus. Ich auch. Atme ich ein, atmet er aus. Er saugt, ich stoße; drängt er noch vorn, trete ich zurück. Wie ein Pingpongball springen Luftmoleküle zwischen uns in und her. Aber keiner weiß, was er sagen soll. Keiner weiß, wo er steht. Nur auf einer wackligen Brücke namens „Arbeit“ – sollte uns jemand erwischen, wie wir uns wegen eines Kommas stundenlang anschweigen und darüber alles andere vernachlässigen, überlebe ich keine 20 Tage mehr.
„Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie nur noch drei Wochen hier sind?“, fragt er. Seine Stimme ist sanft, aber immer noch von Wut geprägt.
„Weil es nicht wichtig ...