Der Paragrafenhengst - Von trabenden Fragen
Datum: 09.12.2017,
Kategorien:
Macht / Ohnmacht
„Wie lange?“, fragt er und sein Blick wirkt beschlagen vom Dampf, der auf seiner Netzhaut kondensiert.
„Drei Wochen“, antworte ich, „21 Tage. Plus zwei Urlaubstage.“
„Gut, dann sehen wir uns morgen.“, sagt er fest und reicht mir die Hand. Sein Druck ist feucht.
„Natürlich, ich werde das Schreiben umformulieren.“ Geradlinig wie der Saum meines Faltenrocks verlassen die Worte meinen Mund. Ein kurzes Nicken, dann drehe ich mich um und schließe die Tür.
Ich habe nichts erwartet. Seit mein Blick bei der letzten Weihnachtsfeier sein dunkelblaues Sakko gestreift hat, spüre ich nichts als Distanz – wir saßen zwei Tische auseinander. Als ich ihn ein paar Wochen später auf einer Wanderung wieder traf, trug er ein azurblaues Poloshirt und die zu früh ergrauten Stoppeln sorgfältig getrimmt. Versunken stand er mit den Arabern und Andalusiern da und plauderte in Absätzen. Ich trage keine Absätze. Uns trennen keine Stufen, sondern Stockwerke. Als ich ihn das letzte Mal SO sah, stritt er sich mit unserem Abteilungsleiter. Er trug sein schneeweißes Hemd zerknittert in die zu enge Hose gesteckt und die Schuhe offen. Uns trennt eine Weltanschauung. Die Perspektive. Die Gewichtung von Wichtigem. Das Gleichgewicht, das zwischen ihm und den anderen verloren ist, eint uns. Außenseiter halten zusammen. Fortan bin ich seine heimliche Unterstützung. Wenn ich schon nicht seine Konflikte lösen kann, dann kann ich ihm wenigstens unter die Arme greifen. Ihm ein kleines bisschen Freude ...
... bringen und seine Arbeit vereinfachen. Er verdient es. Mit jedem Grübchen verdient er sich ein Wort. Mit jedem Lächeln einen Herzschlag. Mit jeder Argumentation meine Achtung.
Ich habe nichts erwartet. Keine Gegenleistung. Nichts. Seine Anwesenheit ist genug. WAR genug. Bis er anfing, mit mir zu reden. Unauffällig schlichen sich seine Fragen in Mails, Aktenübergaben und Formbriefe. Was ich besser fände. Warum ich so gut schreibe könne. Warum meine Nägel jede Woche in einer anderen Farbe strahlten. Aus Gesprächen über die Arbeit wurden Smalltalks, die ein anderes Niveau haben als die pseudo-kumpelhaften Sprüche meiner Kollegen, mit denen sie nur die Abneigung übertünchen wollen. Unsere Besprechungen sind kurz, aber von einer Sympathie geprägt, die zwischen den anderen verloren gegangen ist. Die ganze Welt regt sich über den ewig dauernden Winter auf, aber zwischen uns herrschen selbst bei Minusgraden frühlingshafte Temperaturen. Und auf den Nägeln trage ich Azurblau.
Dennoch weiß ich zwischen uns Distanz zu wahren. Vermutlich hat er schon oft Schwärmereien ertragen müssen. Vielleicht hat er davon gehört. Vielleicht nimmt er sie nicht wahr. Ich werde aber nichts riskieren. Ich will weder Firma's Next Top Schlampe werden, noch mein Herz ruinieren. Er arbeitet lange genug, um sich über mich lustig machen zu können. Niemals will ich den Eindruck erwecken, mit ihm zu flirten. Kein Lächeln zu viel. Nicht mehr Flapsigkeiten als nötig. Ich breche sogar unsre Gespräche ab, wenn sie zu ...