1. Der Paragrafenhengst - Von trabenden Fragen


    Datum: 09.12.2017, Kategorien: Macht / Ohnmacht

    ... steigt auf. Er ist erst in zwei Stunden verfügbar. Bis dahin muss ich meine Arbeit und die für ihn erledigt haben. Wiederholt gehe ich den Text durch, bis alle Sachverhalte gut erklärt sind und jedes Komma an der richtigen Stelle sitzt. Was ich tue, ist routiniert, aber zu ihm zu gehen ist jedes Mal ein Neuanfang. Mit einer sicheren Basis. Kurz vor 10 ist es soweit. Umständlich suche ich aus dem Telefonverzeichnis seine Nummer heraus, obwohl ich sie auswendig weiß. Benedikt Haussmann. H-A-U-S-S-M-A-N-N. Nicht Houseman und nicht Housmann, sondern Haussmann, mit zwei S, die mal ein ß waren, aber bei einem Ausflug in die Schweiz abhandengekommen sind. Pochenden Herzens tippe ich die Kurzwahl in das Gerät und ernte ein Tuten. Besetzt. Aber mein Herz hört nicht auf zu klopfen, mein Motor läuft so sehr auf Hochtouren, dass er fast überdreht. Auch der zweite Versuch wenige Sekunden später scheitert, erst beim dritten Anlauf klappt es.
    
    „Hallo, hier ist Frau Stele“, melde ich mich unsinnigerweise, „Kann ich kommen?“
    
    „Sie dürfen immer kommen“, das Grinsen in seiner Stimme hatte ich nicht erwartet. Oder doch?, „Aber im Moment habe ich noch einen Kunden da. Treffen wir uns in fünf Minuten?“
    
    Mich erst scharf machen und dann warten lassen! Ich stehe kurz vor dem Gedankenkollaps. Was soll ich denn in 300 Sekunden tun?
    
    „In fünf Minuten“, antworte ich übermäßig fröhlich.
    
    Dann fahre ich den Rand des Bildschirmes mit dem Finger nach und befreie den Rest vom Staub. Ich frage ...
    ... Hesilot nach Unterlagen, die ich MrJury mitnehmen soll und gehe betont langsam los. Unterwegs checke ich in der Glasscheibe jeder Tür, ob ich halbwegs hübsch aussehe. Ja, sehe ich. Die beige Bluse mit dem Lochmuster sitzt perfekt, die dunkle Jeans ist fleckenlos und die Schnürsenkel meiner Ankleboots verweilen ruhig in ihrer geknoteten Position. Der Scheitel liegt gut, keine Haarsträhne fliegt umher und sogar von meinem Lippenstift ist noch so viel übrig, dass meine Lippen etwas betont werden.
    
    Schüchtern schleiche ich mich an seine Tür, es könnte ja jemand herauskommen. Sekunden vergehen, bis ich mich traue zu klopfen.
    
    „Herein!“, ruft er erwartungsfroh. Ich lege die Unterlagen auf den Tisch und greife seine Hand. Sie ist etwas warm und irgendwie weich. Diese Hand könnte ich auch halten, wenn sie nicht ihm gehören würde!
    
    „Ich habe Ihre Änderungen eingearbeitet, aber ein paar Formulierungen fand ich nicht ganz passend“, erkläre ich fest und beobachte, wie er das Blatt auf seine Seite zieht und konzentriert liest. Dann klingelt das Telefon und er sieht mich entschuldigend an.
    
    „Da muss ich leider rangehen“
    
    Während ich aus dem Fenster blicke, höre ich seine Stimme. Souverän wie immer legt er der Person am anderen Ende seinen Standpunkt dar. Er hat sein Handwerk gelernt, man glaubt ihm alles, was er sagt. Es besteht kein Zweifel an seiner Meinung, auch wenn er selbst unsicher ist. Aber in diesem Moment ist das für ihn die beste Lösung. Wäre er nicht so ernst, könnte er ...
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