1. Der Paragrafenhengst - Von trabenden Fragen


    Datum: 09.12.2017, Kategorien: Macht / Ohnmacht

    ... lange dauern, denn er muss arbeiten, und ich auch. Sollte etwas passieren, bin ich nicht der Grund. Ich habe nur eine Wassermelone getragen. Es platzschte laut, als er mich fragte, wie lange ich noch bleiben würde.
    
    Während ich mich an den Schreibtisch setze und gedankenverloren versuche zu tun, was er mir aufgetragen hat, beobachte ich die Vögel auf dem Dach. Wie sie ruhig auf den Ziegeln tapsen, immer auf der Suche nach Futter. Wie sie von einer Sekunde auf die andere abheben und in der Luft schweben. Wie oft werde ich diesen Anblick noch genießen können? Es wird kalt. Ich drehe die Heizung auf und gieße die Blumen.
    
    Das Telefon klingelt. Freundlich, als empfinge ich einen Lottogewinn, hebe ich ab und beantworte Fragen. Einmal. Zweimal. Dreimal. In 21 Tagen werden fünf Jahre einfach ausgelöscht sein. Der Kunde möchte Zahlen haben. Ich sage, dass ich erst fragen muss, ob ich die Information rausgeben darf. Ich notiere die Kontaktdaten und werde nach 10 min. zurückrufen. In 21 Tagen werde ich am anderen Ende sitzen und warten. Niemand wird mir je Antworten geben. Der Bearbeiter ist da, aber nur, um die Programme zu bedienen, deren Sinn mal ein anderer war und die ihre jetzige Aufgabe unzureichend erfüllen. Früher wollte das Stellenverwaltungstool ein Zeichenprogramm werden. Aber Zeichenprogramme gibt es genug. Stellen immer zu wenig. Stellenverwaltungsprogramme waren gerade gefragt. Man fragt noch heute nach ihnen, ohne jemals ein gutes zu bekommen. Tatsächlich bekomme ...
    ... ich nach wenigen Minuten die Freigabe. Ich rufe zurück und notiere nebenbei alles auf einem Zettel. Ich werde meinen Block nicht aufbrauchen können. Ich sollte noch viele Zettel schreiben, sonst fühlt er sich einsam. Nachdem ich aufgelegt habe, greife ich routiniert eine Akte aus dem Regal, betätige den Mechanismus und hefte die Notiz ein.
    
    Der Kollege gegenüber fragt, was ich tue. Ich halte den Ordner in die Höhe und grinse dämlich. Früher haben wir oft geplaudert. Jetzt besteht unsere Kommunikation aus Kontrollfragen und bekannten Antworten. Zeiten ändern dich. Ich habe das immer für einen Sprachfehler gehalten. Die Zeiten ändern sich. Aber die Menschen auch. Der frühere Antrieb verkommt bei übermäßigem Gebrauch zu schmerzhaften Druck. Die Motivation bröckelt. Grollend rollen die Brocken des gesunden Arbeitsklimas in die Tiefe und zersplittern in kleine Teile. Ich kann nichts dafür. Ich bin nicht die Quote, die erhöht wird. Und ich bin nicht der Personalabbau, der dem entgegen läuft. Ich bin nur zufällig diejenige, die bald geht. Der Preis für die Entlastung der Personalstatistik ist neben dem erhöhten Arbeitsaufwand ein massiver Verlust an Informationen. Wenn ich gehe, bleibt die Welt der anderen intakt. Nur der kleine Mikrokosmos zwischen mir und meinem Kollegen gerät aus den Fugen. Für die Kunden bin ich ohnehin nur die freundliche Stimme am Telefon. Und noch viele Menschen werden sich daran erfreuen. Nur nicht diese.
    
    Als zwei Stunden später das Getümmel auf dem Gang ...
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