1. Erwachen (3)


    Datum: 05.04.2020, Kategorien: Erstes Mal

    ... Ich beschloss spontan, dass ich mir gegebenenfalls auch gut ein Leben ohne vorstellen könnte. Sabine war sicher nicht die Frau meiner Träume. Aber sie war auch kein Kind von Traurigkeit und hatte bestimmt mehr Erfahrung als ich, da war ich mir sicher. Wer, wenn nicht sie? Als Amateurmusikerin zog sie schon öfter am Wochenende übers Land. Wir würden sehen, beruhigte ich mich. Die Kondome lagen jedenfalls griffbereit in meinem Geldbeutel. Ich legte vorsichtig meine Arme um sie und sie trat ohne Zögern näher. Beckenberührung war unvermeidlich. Sie sah mich lippenkauend an, grinste schief und brachte den Kalauer: "Oh, sind das deine Schlüssel oder freust du dich so mich zu sehen?" Wir schmunzelten beide, ich rieb meine Nasenspitze an ihrer und klapste sie auf den Hintern. "Vorfreude, schönste Freude. Willst du mich herein bitten oder gleich hier im Treppenhaus vergewaltigen?" Wir mussten beide lachen und sie schob mich in ihr Zimmer, das einen separaten Zugang zum Treppenhaus hatte, weswegen ich ihrer Mutter und deren Mutter nur sehr selten begegnete.
    
    Drin brannte die unvermeidliche Kerze in einem massiven, vergoldeten Leuchter unzweifelhaft klerikaler Herkunft, und die Luft war schal von Zigarettenrauch. Sie ließ mich auf dem Sofa Platz nehmen, löschte das Deckenlicht und ich hörte es kurz Knacken und dann leise Knistern, als die Nadel aufsetzte und ihre Reise durch die Vinylrille begann. Die Altarkerze erleuchtete den großen Raum spärlich, die schweren Vorhänge ließen ...
    ... kaum Licht durch. Genau die passende Atmosphäre für Pink Floyd. Sabine setzte sich zu mir, ganz eng an meine Seite, griff meine Hand und verschränkte ihre Finger mit meinen. Es fühlte sich richtig und gut an, als die Gitarren links und rechts anschlugen und schließlich Roger Waters Stimme zu näseln begann. Ich hätte nie gedacht, dass es sich einmal solcherart auszahlen würde, andere vom eigenen Musikgeschmack überzeugt zu haben.
    
    Irgendwann sank ihr Kopf an meine Schulter, und als Gilmour in seiner unvergleichlichen Art die ersten Töne des Refrainchorus in "Dogs" anschlug, schloss ich verzückt die Augen. Das zweistimmige Wimmern traf mich im Mark und mein Herz wurde weit. Ich sah Sabine an, doch mir war, als würde ich durch ihre Augen die ganze Welt anblicken. Ja, so sollte Musik sein! Ich wusste, dass dieses Klagen für immer in mir fort klingen würden, und es raubte mir buchstäblich den Atem, als ich dazu Sabines Lippen auf meinen spürte. Wir umklammerten uns bald wie Erfrierende, die einander die letzte Wärme von den Lippen saugten. Ich hatte noch nie erlebt, dass Musik mein Empfinden so drastisch erweitern konnte. Ich fühlte mich großartig, verletzlich, geborgen, empfindsam und mächtig - alles auf einmal.
    
    Ich realisierte erst, dass ich halb auf Sabine lag, als mir irgendwann der Atem knapp wurde und ich das rhythmische Knacken der Nadel in der Auslaufrille wahrnahm. Ich löste mich von ihr und Sabine beobachtete mich ängstlich, so als fürchte sie, ich wolle abhauen. Ich ...
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