Erwachen (3)
Datum: 05.04.2020,
Kategorien:
Erstes Mal
... wir eben geschlossen ins Sprachlabor und hörten die ganze Stunde eine ihrer beiden Jean-Michel-Jarre-Platten. Das war genau das Richtige, um einfach abzuspannen oder fehlende Hausaufgaben nachzuholen. Ich ließ meine Gedanken treiben, folgte den blubbernden Geräuschen und dem Pfeifen, ließ mich von den Beats der Rhythmusgeräte treiben. Viel zu schnell war die Platte zu Ende und wir mussten uns tatsächlich noch den Rest der Stunde mit Jaques, Marcel und Sophie beschäftigen.
In der anschließenden Hofpause mampfte ich geschafft mein Pausenbrot, als mir plötzlich Verena ihren Gruß direkt ins Ohr gellte. Ich machte einen Luftsprung, so erschrocken war ich. Sie lachte vergnügt: "Na, hast du heute verpennt?" Ich nickte verstört und Eyk, der ebenso platt wie ich war, ging vorsichtshalber einen Schritt zur Seite. Nein, was für ein Sonnenschein! Ich berichtete ihr in knappen Worten, welchen Termin ich für nächste Woche klar gemacht hatte und sie trug ihn sich sofort in ihren Kalender ein. Mit Herzchen! Ich musste gleich wieder an Birgits Worte denken. Ich machte mir langsam schon so meine Gedanken über mich. War ich wirklich so stumpf und stupide, dass ich nicht mitbekam, ob mich ein Mädchen mochte oder nicht? Woran erkannte man das überhaupt? Na ja, das war noch einigermaßen nachvollziehbar, das wusste ich. Wenn sie dich ständig anschauten, hinter dir herliefen oder -riefen, dir Briefchen schrieben... Aber das war doch hier alles nicht der Fall, oder? War ich wirklich so ...
... unaufmerksam? Irgendwie bewegte ich mich im Kreis und kam dabei keinen Meter vorwärts. Staunend nahm ich wahr, dass Verena mich noch immer begeistert volltextete und ich keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Ich schalt mich selbst einen Blödmann und konzentrierte mich lächelnd auf ihre Worte. Anscheinend hatte ich genau im richtigen Moment meine Mimik in Betrieb gesetzt, denn sie wollte sich förmlich wegwerfen vor Lachen. Es war mir fast peinlich, weil ich von dem Witz, den sie wohl gerade erzählt hatte, wirklich genau null mitbekommen hatte, aber ihr Lachen war so ansteckend, dass wir schließlich zu dritt grölten. Ich musste sie sogar festhalten, damit sie nicht hinfiel. Schon wieder.
Leider war die Pause viel zu schnell zu Ende und es ging wieder zurück ans Werk. Gott sei dank waren nur noch drei Stunden zu meistern und Mathe war schon mal raus. StaBü, das roteste aller Fächer leider noch nicht. Kisso, die neben Staatsbürgerkunde bei uns auch noch Geschichte gab, war wieder in Höchstform. Es war wirklich erstaunlich, dass wir im Osten bei so viel Motivation und Propaganda den Krieg der Überzeugungen nicht allein mit überlegenem Ausdiskutieren des Klassenfeinds gewonnen und dem Weltkommunismus zu seinem unvermeidlichen Sieg verholfen hatten. Da musste wohl etwas in den Köpfen ausreichend vieler nicht richtig laufen. Oder war es tatsächlich so, dass wir nur immer wieder auf die weltanschaulich verquere Agitation des Klassenfeinds hereinfielen? Dann mussten sich unsere Agitatoren, ...