1. Oben


    Datum: 07.02.2019, Kategorien: Erotische Verbindungen

    „Alle Erfahrung spricht für, alle Theorie gegen den freien Willen.", hatte ich irgendwo mal aufgeschnappt. Jetzt schien der richtige Zeitpunkt, näher darüber nachzudenken. Haben wir nun einen freien Willen, oder nicht? Ich schwitzte. Zu mehr als zur Formulierung dieser Frage schien sich mein Hirn nicht durchringen zu wollen. ... also, frei sein, heisst... ist das hier Freiheit? Hier, in den Bergen?
    
    Ich sinniere. Nee, schwafuliere.
    
    Nee, ich wandere. Schon den fünften Tag. Die Sonne, gottgelobte Scheine, brennt mit stark übertriebener Zuneigung. Die Rucksackriemen drücken auf den Schultern und schneiden hart in die Hüfte. Für den Anstieg extra fest gezurrt. Der Schnür- und Scheuerschmerz möge von der Anstrengung ablenken. Und yes!, es schnürt und scheuert wie blöde. Alles in der besten Ordnung; alles, wie es soll. Das gute alte Herz pumpt und schlägt wild, die gute alte Halsschlagader bulbt im Takt, die gute alte Lunge ringt und brennt, die guten alten Beine stolpern, die guten alten Füsse schwitzen gequält in schweren Botten und schwingen dennoch ergeben und äusserst dienstbar den Hang hinan.
    
    Derweil hat das gute alte Hirn frei und schwafuliert ins Blaue. Unmöglich, es an ein Thema zu halten. Eigentlich sollte es über den freien Willen nachdenken. Tat es auch. Ab und zu. Selten. Dann begann es ein ums andere mal lustlos: „Alle Erfahrung spricht für, alle Theorie...", woraufhin ich mich unterbrach: „Das hatten wir schon, aber wie weiter?" Nun. Weiter kam ich nie, dazu ...
    ... war ich zu angestrengt, nein zu frei, zu losgelassen, zu heiter.
    
    Wenn man mich nach diesem Zustand befragt hätte, würde ich antworten, ich meditiere. Also, mein Hirn meditiere. Ich wollte eigentlich, dass es nachdachte. Aber es denkt nicht daran, zu denken. Es ergreift irgendeinen Gegenstand, stellt ihn ins Licht meiner Aufmerksamkeit; und kaum da, schwenkt der Scheinwerfer schon woanders hin, ins Ungefähre, ins Hintergründige und schon steht, wie von Zauberhand, ein neuer Gegenstand da, frisch und farbig wie der vorige. Und lässt sich ebenso wenig fokussieren, wie der. Und so weiter. Ein endloses Gleiten, ein Strom von Gedankensplittern, schemenhaften Zusammenhängen, Assoziationen. Während ich schwer atmend höher und höher klimme. Nur eben gedanklich nicht. Gedanklich gehts bergab. Von philosophischen Höhen zu handfesten Plänen, mein Leben zu verändern und zu strukturieren. Zu Sex. Immer wieder zu Sex. Irgendwie bin ich geil. Das ist doch absurd, ich klimme hier den Pfad hinan, erlebe diese stetig sich weitende Sicht und... wühle mich in Gedanken in den Sex. Wo bitte bleibt diese grosse philosophische Weite, die mich erfassen müsste? Wieso geht mit der Erhabenheit der Natur und dem Hochobensein nicht auch gedankliche, philosophische oder wenigstens lyrische Erhabenheit einher? Anstatt die Menschheit zu umarmen, würde ich lieber eine Frau umarmen, ganz handfest und nahe, schwitzend, genau so, wie ich gerade bin, einfach den Rucksack den Hang runterstossen, ein übermütiger ...
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