1. Lea


    Datum: 05.09.2018, Kategorien: Nicht festgelegt,

    ... Leben noch nie wirklich satt und gesund gewesen, aber so kraftlos wie seit einigen Tagen hatte sie sich noch nie gefühlt. Sie spürte, dass ihr Leben jetzt, nach 19 Jahren, langsam zu Ende ging. Völlig erschöpft rollte sie sich vor einer der Pferdeboxen zusammen und fiel trotz des quälenden Hungers sofort in einen tiefen Schlaf.
    
    Kirdan hingegen schlief in dieser Nacht gar nicht. Er hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen, um darüber nachzudenken, was er als nächstes tun sollte. Was er an diesem Abend gesehen hatte, rüttelte gründlich an seinem Weltbild. Die Gezeichnete besaß eindeutig die Fähigkeit zum Heilen, auch wenn es ihr selbst nicht bewusst war. Er bezweifelte auch, dass der Wirt von der Fähigkeit wusste, sonst hätte er sofort versucht, mit seiner Sklavin ein Geschäft zu machen. Normalerweise fiel es sofort auf, wenn jemand zum ersten Mal heilte, denn dabei gingen Krankheiten und Verletzungen des Patienten langsam auf den Heilenden über. Dessen Körper war dann in der Lage, diese fremden Verletzungen innerhalb weniger Stunden zu heilen.
    
    Leider wirkten diese Selbstheilungskräfte nur bei fremden Verletzungen, nicht bei eigenen Krankheiten, was den schlechten Gesundheitszustand der Gezeichneten erklärte. Ein paar zusätzliche Wunden oder Krankheitssymptome fielen da niemandem auf, so genau beachtete ohnehin niemand die Sklaven.
    
    Außerdem brauchte der Körper für die Heilung viel Kraft und Ruhe, die er bei der anstrengenden Arbeit und mangelnden Ernährung der ...
    ... Sklaven nie bekam. Kirdan wunderte sich, dass die Gezeichnete unter diesen Umständen überhaupt noch lebte. Das Signal ihrer Magie hatte er zum ersten Mal vor etwas über einer Woche bemerkt und seither täglich mehrmals gespürt, vermutlich immer, wenn der Wirt sie zu einem Gast aufs Zimmer schickte. Untrainierte Heiler konnten ihre Magie noch nicht kontrollieren, so dass bei jedem längeren Hautkontakt Verletzungen und Krankheiten übertragen wurden, ohne dass sie sich dagegen wehren konnten.
    
    Unruhig warf er sich im Bett hin und her. Er war sich unschlüssig, ob er die Gezeichnete zur Heilergilde bringen sollte. Sein Auftrag war eindeutig: den potentiellen Heiler finden und ihn zur Gilde begleiten, wo er darin trainiert werden würde, seine Fähigkeiten zum Wohl der Bevölkerung kontrolliert einzusetzen. Doch die Gezeichnete würde ein unbeschreibliches Chaos verursachen, da ihre Existenz dem Weltbild der Gilde völlig widersprach. Er könnte das verhindern, wenn er die Sklavin einfach hierlassen würde. Es kam manchmal vor, dass Sucher wie er einen neuen Heiler nicht rechtzeitig fanden, bevor er während einer unkontrollierten Heilung starb. So, wie die Sklavin vorhin ausgesehen hatte, würde sie die nächsten zwei Tage unter diesen Bedingungen nicht überleben. Dann könnte er zurückreisen und so tun, als sei nichts ungewöhnliches geschehen.
    
    Der Zwiespalt in seinem Inneren ließ ihn nicht einschlafen. Einerseits wollte er seine Gilde beschützen, andererseits wehrte sich der Heiler in ihm ...
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