1. Liebe Tod und Neuanfang 05


    Datum: 15.04.2018, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    ... Arbeiten waren, sah sie zum Himmel herauf und meinte nebenbei: „Es ist schon fast schade, dass es nicht mehr regnet. Ich würde zu gerne einmal mit einem Schirm auf der Bank dort drüben sitzen. Es scheint ja recht interessant dort zu sein!"
    
    Ich weiß nicht, wie ich es sagen sollte, aber ich fühlte mich ertappt. Also hatte sie mich bemerkt, genauso wie ich es schon vermutet hatte. Also machte ich gute Miene zum Spiel und antwortete: „Ja, man sitzt dort sehr gut und kann von da aus interessante Menschen beobachten. Sogar im Regen, obwohl dann nicht viele hier sind. Wenn es nicht regnete, dann ist es besser."
    
    „Seltsam, es ist mir gar nicht aufgefallen, dass dich andere Menschen interessiert haben!", sagte sie und drehte ihren Kopf zu mir.
    
    Sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Das konnten nur Frauen. Beobachten ohne das Mann es merkte. Diese Eigenschaft war mir schon immer unheimlich gewesen, gehörte aber zu ihnen wie das Gespür für Stimmungsschwankungen bei anderen Menschen.
    
    „Es könnte daran liegen, dass ich nicht alle Menschen interessant finde!", sagte ich ausweichend, wobei ich versuchte genau auf ihre Körpersprache zu achten. Aber es fiel mir nichts an ihr auf, was ungewöhnlich für sie wäre.
    
    „Ach ja", sagte sie fast nebenläufig und nickte in die Richtung von Silvias letzter Ruhestätte. „Deine Frau?"
    
    Ich war überrascht. Es war das erste Mal, dass sie etwas Persönliches fragte. So überrascht, dass ich nur einmal nickte und sie verstand. Im Gegenzug fragte ich ...
    ... sie: „Dein Mann?", und bekam die gleiche Geste von ihr, die ich schon gemacht hatte.
    
    Damit war ihre Neugierde anscheinend befriedigt und wir trennten uns bis zum nächsten Mal.
    
    So erfuhr ich langsam aber sicher immer mehr von ihr und sie von mir. Wir breiteten unsere Gefühle und Gedanken zwar nicht vor uns aus, aber einige Informationen kamen schon noch rüber. So erfuhr ich von ihr, dass ihr Mann Ingo schon vor fünf Jahren gestorben war. Als sie dann in ihrer Funktion als Chefsekretärin in unsere Stadt kommen musste, hatte sie ihren Mann umbetten lassen, damit sie ihn in ihrer Nähe wusste. Seine Asche gab ihr immer noch den Halt im Leben, den sich brauchte. Sie war nach seinem Tod in ein tiefes Loch gefallen und war fast daran gescheitert. Nur mit der Hilfe einiger Freunde und eines Psychologen hatte sie es doch noch geschafft und war inzwischen wieder in einem Gleichgewicht, welches aber auf tönernen Füßen stand. Sie wusste, dass sie noch labil war, besonders was den Umgang mit anderen Menschen, besonders Männern anging. Sie wusste genau, dass sie Verlustängste hatte, aber dieses Wissen nutzte ihr gar nichts. Die Psyche lies sich nicht mit Wissen austricksen. Also war ihr einfachstes Mittel dagegen, sich von anderen Menschen abzukapseln, wenn auch ihr Seelenklempner es lieber anders gesehen hätte.
    
    Alles das erklärte, warum sie sich so verhielt, wie sie es tat. Sie sah also nicht nur zerbrechlich aus, sie war es in gewissem Maße auch, wenn auch nicht körperlich.
    
    Ein ...
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