1. Wenn die Nachtigall erwacht 07


    Datum: 22.09.2017, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie

    ... und die Augen herausschauten, und sah die beiden orangefarbenen Blüten hoch über ihr unter der Zimmerdecke schweben.
    
    »Wie bist Du eigentlich so groß geworden?«, fragte Miriam.
    
    ‚Ich habe schon vor Wochen einen hohlen Baumstamm gefunden, durch den ich mit einem Teil meiner Wurzeln auf einen nährstoffreichen unterirdischen Fluss gestoßen bin. Ich habe vor, den Fluss zu stauen, um die Nährstoffe besser aus dem Wasser filtern zu können.'
    
    »Der hohle Baumstamm ist wahrscheinlich die Regenrinne und der unterirdische Fluss ist ein Abwasserkanal. Wenn Du den staust, kommen Menschen mit gelben Helmen und graben Dich aus -- lass den Fluss fließen und genieße die täglich frischen Nährstoffe«, erklärte Miriam und kuschelte sich, erschöpft vom vielen Reden, in ihr Nest.
    
    »Wo ist eigentlich die Flasche mit dem Chlorreiniger, die stand doch hier irgendwo?«, fragte Miriam trotz ihres Zustands. Sie wollte nicht, dass V'nyx dem IV. dadurch ein Schaden entstand.
    
    ‚Ich habe die Substanz in mich aufgenommen, um sie zu neutralisieren.'
    
    »Du hast das Zeug getrunken?«, fragte Miriam erstaunt.
    
    ‚Ja, aber anfangs nur in sehr kleinen Mengen, um mich an das Gift zu gewöhnen.'
    
    »Und jetzt kann es dir nichts mehr anhaben?«
    
    ‚Bis zu einer gewissen Dosis kann es mir nicht mehr schaden, aber süchtig werde ich nicht danach.'
    
    Eine Armlänge von ihrem Kopf entfernt, lag die Natter zusammengerollt zwischen anderen Ranken. Das Ende, von dem Miriam die Spitze gekappt hatte, sah ausgefranst ...
    ... aus und glänzte matt vom geronnenen Pflanzensaft.
    
    »Wächst der Stachel wieder nach?«, fragte Miriam, teils aus Neugier, teils aus einer latenten Furcht vor dieser Waffe, durch die Christina, eine ihrer liebsten Drohnen, gestorben war.
    
    ‚Ja', sagte V'nyx der IV.
    
    *
    
    Sven meldete sich einige Zeit später per Handy, und Miriam erklärte ihm den Weg zu ihrem Unterschlupf. Kurz darauf blickte Sven in den Flur eines ehemaligen Bürotraktes, in dem nun schwarze Wurzeln über den Boden wucherten. Unsicher stand er in der Eingangstür, mit einer großen Tüte von McDonald`s in der einen Hand und einem Sack Blumendünger in der anderen.
    
    »Komm rein, ich bin im vorletzten Raum am Ende des Gangs«, rief Miriam mit dünner Stimme. Sven lief mit bedächtigen Schritten, um nicht auf eine der Wurzeln zu treten, spähte in den Raum, und sah lediglich Miriams Haarschopf aus einem bizarren Dickicht herausschauen. In dieses Knäuel aus Ranken kam ungeahnte Dynamik. Sven glaubte, der Raum würde sich drehen, dabei waren die Wände, das Einzige, das sich nicht bewegte. Das Nest öffnete sich und gab Miriam preis, deren Körperkonturen sich unter einem eng anliegenden Kokon aus gummiartigen Blättern abzeichneten. Sven beobachtete diesen unglaublichen Vorgang mit Fassung. Erst als ihm ein Tentakel den Sack Blumendünger entriss, zuckte er erschrocken und wich zurück.
    
    »Das ist V'nyx der IV., mein Cerebrat, du musst keine Angst haben«, sagte Miriam und öffnete den Kokon mit schmatzenden Geräuschen. Die ...
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