1. Weeslower Chroniken Teil 1 - Nadine - 1997


    Datum: 24.03.2018, Kategorien: Kunst,

    ... auch so eine Weeslower Besonderheit. Das sieht man andernorts viel seltener. Ich bin ja selbst noch nicht so lange hier, aber man hat mir erzählt, dass das hier schon in der Wendezeit anfing, Mode zu werden, schon drüben im alten Freibad. Und wenn erst mal ein paar damit anfangen – einschließlich der Bürgermeister-Frau – na ja, seiner Ex - , der örtlichen Zahnärztin, also Sabine, kennst Du ja, dann noch die Leiterin der Grundschule, oder Lissy, die damals Schülersprecherin am Gymnasium war - und dann immer mehr, dann wird das ganz schnell ganz normal. Und hier an der Südseite ist das mittlerweile einfach der übliche Anblick.“
    
    „Für Deine Schüler vorhin aber wohl noch nicht, die schauten sehr interessiert.“
    
    „Ja, die sind ja auch immer nur an der
    
    Topless Beach
    
    . Und ich sag Dir, geh an die Ostsee, und Du siehst vielleicht zehn, fünfzehn Prozent so, in Berlin vielleicht zwanzig. An unserer Süd- und Ostseite achtzig. Und es werden immer mehr.“
    
    „Ich find´s schön.“
    
    „In Weeslow macht gerade das zweite Waxing-Studio auf. Und in Bad Sorow gibt es eins und in Festenwalde drei oder vier. In ganz Berlin gibt es nicht mal zehn! Ich weiß das zufällig, weil ich die Besitzerin hier gut kenne. Das sagt wohl einiges.
    
    Wir
    
    machen die Mode!“
    
    „Das Studio musst Du mir unbedingt zeigen!“
    
    Nun gingen die beiden baden und kamen an einer Stelle des Ostufers wieder an Land. Sie trockneten einfach im Laufen und beendeten schließlich am Eingangsgebäude ihren ...
    ... Besuch.
    
    Michael reichte ihr ihre Sachen.
    
    „Am liebsten würde ich jetzt so bleiben.“
    
    „Vorschlag: Wir holen unsere Räder hier rein, radeln am Westufer den Versorgungsweg lang, schlagen uns durch die immer noch nicht reparierte Zaunlücke bei der Ruine, und fahren dann nach Süden auf der alten Transportstrecke Richtung Flursdorf und von dort durch den Wald und die kleine Straße zu mir. Da brauchen wir lange nichts anzuziehen.“
    
    „Abgemacht.“
    
    Und so fuhr Nadine zum ersten Mal in ihrem Leben nackt Fahrrad.
    
    *
    
    Am nächsten Morgen erhielt Nadine eine SMS ihrer Mutter, die nach Hause zurückgekehrt war: sie möge sich doch bitte mal melden.
    
    Was sollte sie ihr erzählen?
    
    Michael fand, sie solle einfach die Wahrheit sagen, das sei immer das Beste.
    
    „Dass ich den ganzen Tag hier nackt herumlaufe? Oder dass wir beide zehnmal am Tag miteinander schlafen?“ Sie schaute ihn prüfend an. „Meinst Du wirklich, das wäre schlau? – Oder vielleicht, dass ich verliebt bin?“ ergänzte sie leise.
    
    Michael erhob sich von seiner Seite des Frühstückstisches und kam zu ihr herum. „Letzteres sollte sie vielleicht nicht als erstes erfahren, findest Du nicht?“
    
    Nadine strich ihm unter dem Kinn lang und schmunzelte. „Erst mal musst Du Dich rasieren. So rede ich nicht mit Dir über so wichtige Dinge.“
    
    In den vergangenen vier Tage hatte es maximal acht Stunden Abstand zwischen zwei Liebesakten gegeben, die dann selbst oft über Stunden gingen. Sie waren unermüdlich. Nachdem sie nun gleich noch einmal ...