1. Weeslower Chroniken Teil 1 - Nadine - 1997


    Datum: 24.03.2018, Kategorien: Kunst,

    ... ihr das Dorf zu zeigen. Hand in Hand gingen sie hinunter, draußen durch die Pforte und hinaus auf den Weg. Die Häuser an der schnurgerade Straße, die Nadine einst gekommen war waren noch allesamt dunkel, nirgendwo brannte Licht, bis auf eine einzige Straßenlaterne, die einen Briefkasten und eine Bushaltestelle beleuchtete. An jedem Haus vorbeikommend erklärte ihr Michael, wer da wohnte, und erzählte auch gleich noch eine Geschichte dazu. Angefangen bei Karl, einem alten alleinstehenden Mann, der sich nur noch mit seinem Rollator bewegen konnte und das Haus nur verließ, um Elsa zu besuchen. Etwas weiter dahinter wohnten die Polen, die sie schon kannte.
    
    Ab und zu flog eine Fledermaus über ihre Köpfe hinweg. "Wenn wir Glück haben, sehen wir den Uhu." meinte er. "Es gibt hier mindestens ein Paar."
    
    Nicht alle Häuser waren bewohnt, zwei der insgesamt acht Häuser waren verlassen und verfielen allmählich, zwei andere waren Ferienhäuser, die anscheinend gerade nicht vermietet waren, und das so kurz vor der Hauptsaison. "Ist halt eine unbekannte, ruhige Ecke. Noch jedenfalls." kommentierte Michael. Es blieb noch eines, das von einem älteren Paar bewohnt war, deren Kinder schon das Haus verlassen hatten, und ganz hinten, dort wo der Postbote Nadine hatte aussteigen lassen, an der Kreuzung lebte noch eine junge Familie.
    
    Schließlich kehrten sie zurück. Kein Mensch hatte den nackten Spaziergang des verliebten Paares bemerkt.
    
    "Und beim nächsten Mal tagsüber so." scherzte ...
    ... Michael und klopfte ihr dabei leicht auf den Po.
    
    "Von mir aus." sagte sie leichthin. "Aber nur wenn Du mich so begleitest."
    
    "Du denkst wohl, ich traue mich nicht? - Mich haben die hier alle schon mal nackt gesehen, auf dem Grundstück, an der Badestelle oder auf dem Weg dahin. Also an mir soll es nicht liegen."
    
    Sie schmunzelte. "An mir auch nicht, meinetwegen könnte ich hier immer so herumlaufen."
    
    "Dann tu es!"
    
    "Ich werde einfach allen erzählen," meinte sie lachend, "dass mein ehemaliger Lehrer Schneider mich dazu gezwungen hat!"
    
    "Klar, und Du mich. - Übrigens: Du wirst kaum irgendwo eine Gegend finden, in der Nacktsein normaler wäre als hier."
    
    Dann erzählte er ihr die Geschichte dazu:
    
    In der nahe gelegenen Kleinstadt Weeslow gab es schon seit den Siebzigern ein Naturfreibad, in dem Nacktbaden erlaubt war - oder sich zumindest allmählich das Nacktbaden durchgesetzt hatte. Weeslow selbst war eine zu DDR-Zeiten bekannte Künstlerkolonie, in der viele Schauspieler, Maler, Schriftsteller entweder ganz wohnten oder zumindest den Sommer verbrachten. Diese Leute scherten sich nicht soviel um gesellschaftliche Zwänge und badeten gern nackt. Zudem arbeiteten die meisten Weeslower im großen Elektronik-Werk in der nahen Kreisstadt Festenwalde und verbrachten den Sommerurlaub zusammen im Betriebsferienheim auf dem Darß - direkt am FKK-Strand. So kam es, dass hier ohnehin schon viele Nacktfans wohnten - und das Freibad auch viele FKK-Anhänger aus dem nahen Berlin ...
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