Migration
Datum: 23.03.2018,
Kategorien:
Betagt,
... erfuhren, dass Azad monatelang in Gefangenschaft des IS zugebracht hatte, bis er befreit wurde und auf dem Fluchtweg nach Deutschland gelangte. Nächste Verwandte hatte er nicht mehr.
Von nun an verbrachte Azad im Anschluss an seine Volkshochschulkurse die Spätnachmittage mit Privatunterricht bei Herbert, wo er auch regelmäßig mit zu Abend aß. Marlene setzte alles daran, „dass der Junge wieder etwas auf die Rippen bekam", was allerdings bislang von wenig Erfolg gekrönt war. Azad war so sehr an das entbehrungsreiche Leben gewöhnt, dass er nur geringe Mengen zu sich nehmen konnte.
Als Schüler war er jedoch ein Erfolgserlebnis. Keine zwei Wochen nach seinem ersten Besuch bestand er die Sprachprüfung A2 ohne Probleme und bereitete sich jetzt auf B1 vor. Darüber hinaus war er sehr bemüht, sich möglichst vielen Lebensgewohnheiten seines Gastlandes anzupassen. Er achtete sehr darauf, wie sich Herbert und Marlene verhielten, was ihnen wichtig zu sein schien, was ihren Alltag bestimmte.
Weil nun Azads Aufenthalte in die Stunden fielen, die Herbert und Marlene zuvor für ihre Saunaaufenthalte genutzt hatten, waren diese neuerdings auf den früheren Nachmittag verschoben worden. Daher hatte sich Marlene bereits in die Sauna begeben und Herbert wollte ihr gerade folgen, als Azad an diesem Tag so unerwartet vor der Zeit eintraf. Diesem war es sichtlich unangenehm, Herbert durch sein verfrühtes Erscheinen gestört zu haben.
„Bett?", fragte er irritiert, vermutlich wegen Herberts ...
... Bademantel, und vergaß dabei offenbar, dass er längst in der Lage war, solche Fragen in ganzen Sätzen zu formulieren.
„Nein, nein, Sauna", erklärte Herbert. „Wir gehen um diese Zeit immer in unsere Sauna. Die ist unten, im Keller."
„Sauna?" Das Wort war zweifellos neu für ihn.
„Ja, das ist gesund. Sehr heiß, ein Raum, in dem man schwitzt, und danach geht man am besten unter kaltes Wasser. Hört sich vielleicht nicht angenehm an, ist aber eben gesund."
„Ihr macht oft?"
„Wenn es geht, sogar täglich", gab Herbert Auskunft.
„Darf ich auch in Sauna, wenn so gesund?", wollte Azad wissen.
„Das kann jeder, wenn er will", war die noch arglose Antwort.
„Ich kann mit also, jetzt?"
„Ach so, du meinst jetzt hier, bei uns?" Herbert fühlte sich etwas überfahren. Grundsätzlich konnte er dem jungen Iraker die Frage ja nicht übel nehmen, nachdem er ihm die Sauna gerade als so gesund angepriesen hatte. Und unter anderen Umständen wäre ein solchen Ansinnen auch kein unüberwindliches Problem. Als sie noch nicht über ihre eigene Keller-Sauna verfügten, hatten sie auch gelegentlich eine öffentliche Sauna besucht. Nackt mit Fremden zusammen zu sein war für sie also keine Schreckensvorstellung. Marlene wäre sicher überrascht, aber nicht unbedingt schockiert. Azad allerdings gewiss umso mehr. Für ihn könnte es ein Kulturschock sein, fürchtete Herbert.
„Hm, ich weiß aber nicht, ob es dir gefallen würde. Es ist nämlich so, dass man in einer Sauna nichts anhat. Also keine ...