1. Das Generationenhaus


    Datum: 02.09.2017, Kategorien: Sonstige,

    ... Strenge des Alters zurücktreten und verschaffte mir sogleich eine freundschaftliche Verbindung zu der Dame. Wir hatten vielleicht eine Viertel Stunde miteinander geplaudert, als ihre Tochter hinzukam. Sie wirkte sichtlich nervös und verhielt sich geradezu schroff mir gegenüber. Ich fühlte mich hinauskomplimentiert und habe die beiden nach wenigen Augenblicken allein gelassen. Die nächsten Tage habe ich Frau von Steffenhagen nur einige Male kurz gesehen, als ich das Haus verließ. Sie gab mir jedes Mal freundliche Bemerkungen mit auf den Weg. Immer wenn ich Frau von Kauffmann in dieser Zeit traf, bemerkte ich, wie sie sich scheu umblickte. Unsere Wortwechsel waren von ungewöhnlicher Kürze. An einem Freitag jedoch nahm sie mich zur Seite. Sie müsse am Wochenende zu einer Tagung. Am Besten wäre es, wenn ich während dieser Zeit das Haus miede. Ihrer Mutter dürfe ich keinesfalls Anlass zur Klage geben. Zwar gebe sie sich freundlich. Das sei allerdings rein äußerlich. Schon oft habe sie sich nach Besuchen beklagt, wie unangemessen es in ihrem Haushalt zuginge.
    
    Für jenes Wochenende hatte ich mir ohnehin vorgenommen, intensiv für bevorstehende Klausuren zu lernen. Ich würde deshalb kaum Gefahr laufen, Frau von Steffenhagen zu belästigen, weil ich mich nur in meinem Zimmer aufhalte. Die alte Dame wohnte im Erdgeschoss, so dass es eher unwahrscheinlich wäre, wenn wir uns sähen. Als ich am Sonntag Vormittag kurz das Haus verließ, um frische Brötchen zu besorgen, hat mich Frau von ...
    ... Steffenhagen offensichtlich bewusst abgefangen. Sie bat mich auf den Nachmittag um vier zu sich auf einen Kaffee und Kuchen. Sie wollte, wie sie mir sagte, mich ein wenig besser kennen lernen. Ich sei ein äußerst angenehmer Mitbewohner. Und wenn ihre Tochter sich schon nicht um sie kümmere, erwarte sie wenigstens meine Zusage. Ich muss sagen, die Einladung kam mir durchaus als Abwechselung von dem sturen Lernen gelegen. So begab ich mich pünktlich zur angegebenen Zeit in das Erdgeschoss zu der alten Dame. Dort fühlte ich mich ein wenig in meine Kindheit zurück geworfen. Da war der blitzsauber gedeckte Kaffeetisch mit Servietten und Silberbesteck. Frau von Steffenhagen hatte auch an jenem Tag nichts Lockeres an sich. Alles wirkte ein wenig steif. Gleichwohl verschaffte es die alte Dame im Gespräch sogleich eine zutrauliche Atmosphäre zu schaffen. Sie war aufgeräumt, wie man so sagt, und leitete die Unterhaltung mit einigen schlüpfrigen Bemerkungen über ihre Tochter ein. Dann erzählte sie, dass Frau von Kauffmann schon seit ihrem vierzehnten Lebensjahr der Männerwelt durchaus zugetan war. "Das ist doch sicher auch heute noch so - oder ?", fragte sie mich. Ich errötete und begann zu stottern. Da unterbrach sie schon meinen Satzanfang und sprach: "Sie müssen sich nicht entschuldigen. Ich kenne meine Tochter. Die kriegt jeden ins Bett." Dabei lachte sie. Es war mir so unendlich peinlich, dass ich nicht in der Lage war, ein Verhältnis zu Frau von Kauffmann souverän zu verneinen. Aber ...