1. Ein kahles Feld


    Datum: 27.01.2018, Kategorien: Macht / Ohnmacht

    ... Buchstäblich.
    
    Ja, nichts weniger als ihr Haar sollten sie opfern. Nicht das Haupthaar, darüber ließe der Bischof vielleicht mit sich reden, nein, das Schamhaar war das Thema des Ethnologen und zwangsläufig auch das des Bischofs. In der Folge stritt das ganze Land um Sitte und Moral, Tradition und Fortschritt. Die Schamhaare seien dem Menschen von Gott gegeben, damit er seine Blöße bedecke, und der Mensch hätte nicht das Recht, sich dem Willen Gottes zu widersetzen, tönten die einen. Das sei zwar brillant formuliert, aber leider unlogisch, konterten die anderen frohlockend, denn erstens verdeckten die Haare bei Männern nichts, und zweitens, wenn das mit dem Gotteswillen so stimmen würde, dürfte sich wohl der Papst seiner ebenso gottgegebenen Barthaare nicht tagtäglich durch Rasur entledigen.
    
    Um bei ihren Erklärungsversuchen nicht zwischen den Bart- und Schamhaaren des Papstes unterscheiden zu müssen, vergaßen die Kleriker ihren Gott ganz schnell und öffneten einen neuen Kriegsschauplatz indem sie erklärten, jeder Mensch habe laut Verfassung das Recht auf körperliche Unversehrtheit, ergo könne niemand gegen seinen Willen seiner Haare beraubt werden. Außer, zitierten daraufhin die anderen süffisant den gleichen Artikel der Verfassung, ein Gesetz bestimme das. Damit landete die Angelegenheit im Parlament, wo sich die Schwarzberockten wie immer in solchen Fällen und ungeachtet der Not im Lande mit Händen und Füßen dagegen wehrten, die Schamhaarentfernung von Staats wegen ...
    ... anzuordnen.
    
    Ihre Würde würde darunter leiden, erklärten sie, ein Mensch wäre ohne Schamhaare kein Mensch mehr, sondern ein nackter Affe. Das sei der Mensch ohnehin, erklärten darauf die anderen heiter und verwiesen auf das zu achtundneunzig Prozent mit dem Schimpansen identische Genom. Sie betonten, dass bei diesem Unterschied das Großhirn und somit das Innere und nicht das Äußere eines Menschen wichtig sei, denn Aff bleibt Aff und Schelm bleibt Schelm, selbst wenn sie beide in Samt und Seide daherstolzieren, daher könne auch seine Würde nicht durch eine Äußerlichkeit verletzt werden, das Schneiden des Haupthaars durch Friseure sei schließlich weder eine Körperverletzung noch verstoße sie gegen die Würde des Menschen.
    
    Auch diesmal verzichteten die Gotteskrieger auf den metaphysischen Unterschied zwischen dem Haupt- und Schamhaar hinzuweisen, sie beschränkten sich vielmehr darauf, das drohende Unheil abzumildern und preschten plötzlich und zur Überraschung aller mit einem eigenen Gesetzesvorschlag vor. Natürlich war dieser viel gemäßigter als der ihrer Gegner, aber er enthielt einige Details, die sofort, wenn nicht die Zustimmung, so doch Wohlwollen bei einem großen Teil der Parlamentarier auslöste. Gewiss, dieser Teil bestand fast ausnahmslos aus Männern, aber warum dem so war, wurde erst klar, als es zur ersten Lesung kam: Das Gesetz sollte nur für Frauen gelten.
    
    Es gab sofort einen Aufstand im Lande. Die trotz massiven Bevölkerungsrückgangs noch immer in Tausenden zu ...
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