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Wer sich in Gefahr begibt . . .
Datum: 19.01.2018, Kategorien: Betagt,
... Ironie! Die nachfolgenden Wochen waren ein einziger Albtraum. Die Beerdigung zog an mir vorbei wie eine Fata Morgana im Nebel. Ich wurde apathisch, lag den ganzen Tag im Bett und heulte. Eines Morgens zog mich Susanne mit Gewalt ins Badezimmer und nötigte mich auf die Waage zu steigen. Während ich die ausgemergelte Karikatur einer Frau mit blau unterlaufenen Augen und hängenden Sacktitten im Spiegel sah, schrie Susanne hysterisch auf: "Was? Unter 45? Du spinnst wohl!" KLATSCH! KLATSCH! Mit zwei Backpfeifen riß mich meine Freundin lange genug aus meinem Dämmerzustand, um zu begreifen, was sie sage: "Entweder, du fängst wieder an zu essen, oder ich lasse dich einweisen!" Also begann ich, unter ihrer strengen Kontrolle, wieder mit der Nahrungsaufnahme. Darf man das überhaupt sagen? Glück im Unglück haben. Unsere Männer hatten bei Vertragsabschluß darauf geachtet, daß bei ihrem Ableben eine Versicherung die Restschuld tilgt. Mit einem Schlag waren wir Schuldenfrei. Zumindest diese Sorge blieb uns erspart, wenngleich andere folgen sollten. Aber auch diese meisterten Susanne und ich. Selbst mein Gewicht stieg langsam wieder an, wie meine Freundin stolz auf ihrem Zettel vermerkte. Das alles liegt jetzt über 20 Jahre zurück. Wir wohnen immer noch in unseren Häusern, haben aber nie mehr geheiratet. Überhaupt war das Thema Männer für lange Zeit eben kein Thema mehr. Danach schon mal gelegentlich, aber weder für Susanne, noch für mich war jemals etwas Ernstes ...
... dabei. Unser Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Nähe stillten wir zu Zweit. Aber eine wirklich lesbische Beziehung war das auch nie. Ich verarbeitete meinen Schmerz in einem Buch. Als es auf Susannes unermüdliches Drängen hin ein Verleger lesen durfte, war eine Veröffentlichung nicht mehr aufzuhalten. Heute gelte ich als eine Ikone der Frauenliteratur. Na ja. Susanne arbeitet in dem Verlag als Lektorin, in dem meine Bücher erscheinen. Spezialisiert auf Fachbücher mit Schwerpunkt Juristik ist sie hoch angesehen. Und das weit über unsere Landesgrenzen hinaus. * Ich lasse Susanne den Vortritt. Immerhin ist sie die Ältere von uns beiden. Wenn auch nur ein paar Monate. Wie immer dauert es ewig, bis sie im Bad fertig ist und ich den Platz vor dem Waschtisch einnehmen kann. Während ich mir die Zähne putze, höre ich meine Freundin die Koffer packen. "Rock oder Hose?" "Rock", rufe ich und produziere dabei Zahnpastablasen auf meinen Lippen. "Top grün oder weiß?" "Weiß natürlich." Susannes Kopf erscheint im Türrahmen: "Unterwäsche ja oder nein?" Als Antwort werfe ich einen nassen Waschlappen nach ihr, der sie leider verfehlt. "Also nein." "Untersteh dich!" Wir haben das Zimmer nur für eine Nacht gebucht. So schnell es geht wollen wir die stinkende und lärmende Metropole verlassen. Und wir haben erreicht was wir wollten. Ich einen Dreibuchvertrag, Susanne die Rechte an einer Gesetzessammlung. Arbeit und Auskommen für schätzungsweise drei Jahre. Während ...