1. Schwesternliebe


    Datum: 11.09.2017, Kategorien: Romane und Kurzromane,

    Ein tiefer Seufzer dringt aus meinem Brustkorb.
    
    Die Sonne scheint, kühler Wind weht von Meer herüber über meine erhitzte Haut.
    
    Ich liege entspannt am Strand von Ibiza, einen Cocktail in meiner Hand, auf meinem Bauch schlummert die Liebe meines Lebens.
    
    Alles ist gut -- es ist einfach perfekt hier zu sein!
    
    Während ich mir eine Zigarette anzünde und genüsslich den aromatischen Rauch tief in meine Lungen einatme, gehen meine Gedanken zurück ... zurück in eine andere Zeit, damals, nach Deutschland, als ich noch Schwester Katja war. Eine graue Maus, geprägt von Pflichterfüllung und dem Druck, welcher mir von früher Kindheit an auferlegt wurde.
    
    Zufrieden lasse ich einen weiteren Schluck „Grand Margarita" in meinen Rachen rinnen, ich genieße den Geschmack von Tequila und Früchten.
    
    Ich war nicht immer so glücklich.
    
    ***
    
    Mein Vater hatte die Familie verlassen, als ich meine ersten Tage im Kindergarten verbrachte, meine Schwester war noch ein Baby. Dem Druck nicht standhaltend, für die Familie allein sorgen zu müssen, verfiel meine ohnehin schon labile Mutter innerhalb weniger Monate dem Alkohol und nur wenige Jahre später, nachdem ich in der Grundschule Fuß gefasst hatte, war es offensichtlich, dass diese bedauernswerte Frau ein nicht zu verachtendes Suchtproblem hatte.
    
    Ich kann mich an kaum eine Zeit erinnern, in welcher wir zu Hause nicht über unzählige leere Bier-, Schnaps und Weinflaschen, eine volltrunkene Mutter oder deren Saufkumpane gestolpert sind. ...
    ... Das einzige Zimmer, das von dieser Katastrophe halbwegs verschont blieb war jenes, in dem ich mit meiner kleinen Schwester lebte.
    
    Nadja, mein Stern, mein Sonnenschein, mein Leben, mein ganzer Halt!
    
    Ich umsorgte die kleine Maus so gut ich es vermochte. Früh lernte ich einzukaufen, zu kochen, zu waschen, zu putzen, um diesem Küken das Leben halbwegs erträglich zu gestalten.
    
    Wir waren ein Team, verschworen gegen die Welt, da uns ohnehin niemand half. Verbündet gegen die Nachbarn, die lästernd aus dem Fenster schauten, wenn unsere Erzeugerin betrunken aus der Eckkneipe nach Hause wankte. Gegen die Lehrer, die uns oft und gern als Sündenböcke gegen den Rest der Klasse ausspielten, weil sie wussten, dass unsere Mutter ohnehin nicht in der Lage sein würde, zur nächsten Elternsprechstunde zu erscheinen.
    
    Gegen die lästigen Verwandten, die es lieber gesehen hätten, Nadja und ich wären in Pflegefamilien untergebracht worden oder in einem Heim, völlig egal, nur weg aus ihrem Dunstkreis. Wie oft hatte meine Oma mir ein paar Geldscheine zugesteckt, damit ich für den Rest des Monats Lebensmittel kaufen konnte und mir dabei ins Ohr geflüstert: „Nicht anrufen, wenn sie wieder betrunken ist, Opa regt sich immer so schnell auf!".
    
    Oder Tante Magda, die gelegentlich vorbeikam, um mir seufzend und voller Selbstmitleid vor sich hin jammernd bei den gröbsten Hausarbeiten zu helfen. Immer wieder betete sie beim Fensterputzen ihre Meinung herunter, dass es doch nette Familien gäbe die ...
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