1. Juliana und die Piraten 4


    Datum: 31.03.2020, Kategorien: Macht / Ohnmacht

    ... auf, lässt den Dolch fallen, wird kreidebleich, greift mit beiden Händen an die schmerzende Stelle und macht fünf Schritte rückwärts. Juliana bückt sich rasch und nimmt den Dolch auf. Sie flieht nicht. Wohin soll sie auch? Fasziniert blickt sie auf den sich vor Schmerz krümmenden menschlichen Wurm. Sie wusste vom Hörensagen, dass Männer an der besagten Stelle schmerzempfänglich sein sollen. Jetzt aber erlebt sie geradezu ungläubig, wie sie, die kleine und feine Juliana, die Macht hat, ein solches Naturschauspiel männlichen Leidens selbst auszulösen. Inzwischen hat sich der holländische Matrose wieder etwas erholt, schreit Juliana an: Du verdammte Hure, das machst du nicht nochmals, dir werde ich es zeigen! und stürzt wutentbrannt auf Juliana zu. Geistesgegenwärtig rammt diese dem Holländer dessen eigenes Messer in die Brust, so dass dieser zusammensackt. Juliana verlässt den Ort des Geschehens. Das Messer nimmt sie mit.
    
    Inzwischen haben die Piraten die Oberhand gewonnen. Die holländische Mannschaft sitzt auf dem Deck ihres Schiffes. Einige Verletzte liegen herum, so auch der von Juliana abgestochene Matrose, der leise röchelt. Ob er letztlich überlebt, wird Juliana bis ans Ende ihrer Tage nie erfahren. Ein Pirat hat einen Arm gebrochen, einem weiteren tun zwei Rippen weh, ansonsten sind die von Piraten erlittenen Verletzungen oberflächlicher Natur. Juliana hilft beim Verladen der Beute. Sie will nicht an den Kampf mit dem holländischen Matrosen denken, ist verwundert, ...
    ... dass sie noch lebt.
    
    Am Tag darauf ruft der Kapitän Juliana in seine Kajüte. Juliana habe Qualitäten, mit denen er nicht gerechnet habe. Er wolle sie nicht mehr als seine Gefangene. Sie sei eine freie Frau und habe die Wahl, sich entweder seiner Mannschaft anzuschliessen oder noch etwa fünf Tage als Gast mitzufahren, bis die \"Adrienne\" in den Hafen von Tortuga einlaufen werde, und dort das Schiff zu verlassen. Juliana weiss nicht, was sie im berüchtigten Seeräubernest Tortuga als allein reisende Frau erwarten würde und was sie dort tun solle. Auch fürchtet sie, sollte sie erkannt und einer holländischen oder verbündeten Hafenbehörde, auch einer britischen, ausgeliefert werden, für die Verletzung oder gar Tötung des holländischen Matrosen am Galgen zu baumeln oder zumindest die Siebenschwänzige Katze empfindlich auf ihrem blossen Rücken tanzen zu spüren. Für ein solches öffentliches Spektakel auf dem Marktplatz einer Kolonialstadt will sie sich nicht hingeben. Das Schicksal hat sie den Seeleuten der \"Adrienne\" und damit einem Piratendasein zugewiesen. Sie lebt und ist gesund, und sie hat trotz aller Widrigkeiten und Demütigungen in den letzten Tagen einige Kameradschaft und menschliche Wärme und auch, wie sie sich eingesteht, Lust erlebt. So nimmt sie ihr Schicksal nicht ohne einen Anflug von Dankbarkeit an und erklärt den Beitritt zur Mannschaft.
    
    (Am Nachmittag muss sie zusammen mit ihrem Liebesgenossen vom vorvergangenen Tag unter dem anerkennenden Gelächter der ...
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