1. Marionette


    Datum: 29.03.2020, Kategorien: Schamsituation

    ... tritt, sehe ich ihn.
    
    "Was Improvisationstheater ist, weißt Du? Unser Stück heute Abend heißt Marionette. Du bist die Hauptperson, ich der Spieler. Das heißt, Du tust NICHTS. Ich bewege Dich, wie es ein Marionettenspieler mit seiner Puppe tut. Und noch etwas: Es wird kein Wort gesprochen, weder von Dir noch von mir. Ist soweit alles klar?"
    
    Ich nicke. Auf was für Einfälle Tim immer kommt! Es kribbelt.
    
    Er nähert sich mir, stellt sich hinter mich und sagt leise: "3, 2, 1, action!" Er löst den Knoten meines Kopftuchs, faltet es akkurat mehrere Male in Längsrichtung - und verbindet mir die Augen damit. Er zieht fest zu; selbst mit äußerster Anstrengung kann ich kein bisschen meiner Umwelt auch nur erahnen. Ich lausche auf Tims Schritte; der Holzboden der Bühne knarrt unter seinen Bewegungen. Jetzt muss er vor mir stehen. Er nimmt meine Arme, hebt sie und führt sie im Nacken zusammen. Ich bin, wie von ihm gewünscht, komplett passiv.
    
    Der Boden vor mir knarrt, dann fühle ich seine Hände an meinen Fußgelenken. Behutsam drückt er sie zur Seite, bis ich in leichter Grätsche stehe. Seine Schritte entfernen sich und werden leiser. Geht er wieder durch den Mittelgang? Unfähig zu sehen bemerke ich, wie das Gehörte ein Bild des Raumes formt. Er muss im hinteren Teil des Zuschauerraums angekommen sein, denn ein Hall folgt jedem Schritt. Ich erinnere mich: Nahe dem Zuschauereingang sind blanke Steinwände. Es wird ganz leise.
    
    Ich verspüre den Drang, meine juckende Nase zu ...
    ... berühren. Doch ich halte mich an die Absprache und verharre. Noch immer Stille. Von weit weg höre ich ein Geräusch, als würde ein Schlüssel in ein altes Schloss geschoben und gedreht. Ein neuer metallischer Ton - eine Klinke? Dann das ächzende Knarren einer Tür, die geöffnet wird. Ich höre Tims schwere Schritte, die sich langsam wieder nähern. Er scheint endlos langsam zu gehen. Sind da andere Geräusche? Ein leises Scharren? Tims Fußtritte werden lauter. Jetzt ist er wohl direkt vor der Bühne, wendet sich nach rechts und kommt über die stark knarrende Treppe nach oben. Ich zucke zusammen, als weit hinten Türangeln quietschen und die Tür geräuschvoll ins Schloss fällt. Tims Schritte kommen näher. Er steht vor mir. Seine Hände umfassen meinen Kopf, ich spüre seinen Atem, sehne mich nach einem Kuss. Doch seine Hände gleiten am Hals abwärts, tasten durch die unförmige Kleidung hindurch meine Brüste. Mich schaudert. Die Hände wandern wieder nach oben. Er nestelt am Reißverschluss des Anoraks und zieht ihn mit einem Ruck nach unten. Noch nie habe ich das entstehende Geräusch so intensiv vernommen!
    
    Der Boden vor mir knarrt vernehmlich. Ich spüre, wie Tim am Ledergürtel meiner Jeans nestelt. Es klimpert metallisch; dann spüre ich, wie der Gürtel schnell aus seinen Schlaufen gezogen wird. Ein lauter Aufprall, der mich erschreckt. Er hat den Gürtel auf den Bühnenboden geworfen. Die Schritte gehen im Halbkreis um mich herum. Er tritt von hinten ganz nahe an mich heran. Ich spüre seinen ...
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