1. Mutterliebe


    Datum: 25.03.2020, Kategorien: Sonstige,

    ... ohne Vorankündigung Mann und Tochter verlassen. Erst nach Monaten der Ungewissheit, als schon die Polizei auf der intensiven Suche war, meldete sie sich. Sie lebte nun fernab unter ihrem Mädchennamen. Nur hin und wieder in großen Zeitabständen gab sie Lebenszeichen von sich. Das konnte an Sandras Geburtstag sein oder aber irgendwann - mitten am Tage oder spät in der Nacht. Nur wenige Male hat sie ihre Familie später in der Heimat besucht. Es waren Stippvisiten für wenige Stunden ohne Vorankündigung. Dann verschwand diese Frau wieder ins Unbekannte. Sandra hat von ihren späteren Lebensumständen nie etwas in Erfahrung bringen können. Entsprechende Fragen blieben ohne Antwort - und dann war die Mutter schon wieder weg.
    
    Diese Streunerin war in der Tat mit meiner Mutter nicht zu vergleichen. Diese hatte etwas Weiches, Mütterliches an sich, ließ sich jedoch nie auf dem Kopf herum trampeln. Dann konnte sie durchaus energisch werden, diese kleine rundliche Frau, die mir in einem gutbürgerlichen Umfeld Kindheit und Jugend angenehm und weitgehend sorgenlos gestaltet hat, indem sie alles Belastende von mir nahm und mich liebevoll umsorgte. Aber nie hätte ich mir vorstellen können, später eine nähere Beziehung zu einer Frau dieser Art entwickeln zu können. Mir schwebte vielmehr etwas Anderes, viel Aufregenderes vor, das sich in jeder Hinsicht von dem Alltäglichen abhob.
    
    Wenn ich mir zuweilen Gedanken über die Unterschiede unserer Elternhäuser machte, kam mir immer wieder eine lange ...
    ... zurückliegende Lateinstunde in den Sinn. Es ging damals um grammatikalische Bezüglichkeiten am Beispiel amor matris. Das konnte je nach Sinnzusammenhang die Liebe der Mutter oder aber die Liebe zur Mutter bedeuten. Mal war es die Mutter, die die Liebe empfing. Im anderen Fall war das Kind das Objekt der Zuneigung. Wenn ich heute darüber nachdenke, verstehe ich meine damaligen skurrilen Gedankenverbindungen nur zu gut.
    
    Die häuslichen Erfahrungen Sandras haben bisweilen auf unsere Beziehung durchgeschlagen, denke ich heute in der Nachschau. Ich kam wohl vor allem deshalb besonders gut als Partner in Betracht, weil ich nahezu meine gesamte frei verfügbare Zeit mit ihr verbracht habe. Das gab Sandra Sicherheit und riss nicht die Wunde des Trennungsschmerzes allzu sehr auf. Aber solche Überlegungen machte ich mir damals nicht. Ich liebte Sandra und war gerne mit ihr unterwegs. Und so kam es, dass wir schon kurze Zeit darauf eine kleine gemeinsame Wohnung nahmen, in der wir eine harmonische und schon beinahe gutbürgerlich zu bezeichnende Beziehung lebten. Wir brauchten keine Absprachen für den täglichen Haushalt. Alles ging Hand in Hand. Der eine versuchte dem anderen möglichst wenig Arbeit zu machen. Vieles, vom Kochen bis zum Saubermachen taten wir gemeinschaftlich. Sandra war nun schon im Referendariat, so dass wir uns auch in finanzieller Hinsicht keine Sorgen machen mussten. In den Sommerferien konnten wir uns sogar eine Urlaubsreise in die Türkei leisten. Hier erlebte ich ...
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