1. Erinnerungen 01


    Datum: 18.03.2020, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie

    ... dieser Mörder zur Rechenschaft ziehen. Das zweite war wesentlich tiefer verankert, und breitete sich wie ein schwarzes Loch in ihrem Inneren aus. Es war Einsamkeit, sie spürte, dass sie ab hier vollkommen alleine war. Es gab niemanden mehr.
    
    Je weiter sie lief, desto mehr übernahm das zweite Gefühl ihr Wesen und verzehrte die Wut. Gegen eine solch Übermacht an Feinden hatte sie nicht den Hauch einer Chance, sie konnte nichts weiter tun, als den Tod von allem ihr Bekannten zu akzeptieren. Nur ihr Bogen hatte den Kampf unbeschadet überstanden, er war das einzige, was ihr geblieben war.
    
    Überleben war kein Segen und erst recht keine Gnade. Eine einzige Szene aus ihrer Erinnerung drängte sich geradezu aufdringlich in den Vordergrund: Eine Frau hatte aus Habgier einen Teil der Stammesschätze an einen fahrenden Händler verkauft, das Urteil über sie war Verbannung. Ihre Worte hallten unaufhörlich in ihrem Kopf nach: „Ha, Verbannung? Seid gnädiger, sagt Tod!"
    
    Damals hatte sie sich gefragt, wie man das eigene Leben verabscheuen konnte und warum diese Frau ihr gewünschtes Urteil nicht selbst vollstreckte. Nun wusste sie es. Ob Verbannung oder nicht, es bedeutete Einsamkeit und vor allem Schuld, die so schwer wog, dass man weder mit ihr leben noch sterben wollte. Ein einfaches Todesurteil hingegen beendete eine ansonsten lebenslange Qual. Gewissermaßen war auch sie eine Ausgestoßene, beinahe noch schlimmer.
    
    Was würde die Zeit bringen? Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie ...
    ... sich wirklich allein, eine scheinbar tonnenschwere Last ließ sie zu Boden sinken. Eine tiefe Sehnsucht entstand, die Sehnsucht, diese Qual nicht alleine tragen zu müssen. Doch wer würde sie schon verstehen?
    
    I.
    
    Die Taverne war voll und der Geruch von schlechtem Bier hing in der Luft. Ohne auf die anderen Gäste zu achten steuerte Quinn direkt auf den Tresen zu. Mit einem kurzen Nicken begrüßte er den Wirt und bestellte sich ein kräftiges Bier.
    
    Während er darauf wartete, sah er sich kurz um. Sein geübter Blick streifte beinahe jeden Anwesenden, automatisch behielt er sich alles Außergewöhnliche im Kopf und verglich Alles mit seinen Erinnerungen, vielleicht hatte er jemanden schon einmal gesehen.
    
    Eigentlich war diese Tätigkeit vollkommen aussichtslos, er kannte im Moment sowieso nur drei Personen, die er, sollte er sie hier treffen, sofort ansprechen würde, und diese kamen ganz bestimmt nicht in eine so heruntergekommene Spelunke. Selbst wenn er jemand anderen erkannt hätte, würde er wahrscheinlich genauso auf sein Bier warten und hoffen, dass die Zeit schnell verging.
    
    Er seufzte, eigentlich machte es keinen Unterschied, wie lange er hier sitzen blieb oder wie lang ihm diese Zeit erschien, es hätte sowieso nichts mehr geändert. Morgen würde er sich wie in den letzten Wochen wieder auf den Weg machen, immer weiter weg von seiner Heimat, falls man seinen Geburtsort so nennen konnte. Er war zwar dort auf die Welt gekommen, doch ein echtes Zuhause war es nie gewesen, es ...
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