1. Zum Schwulsein verführt


    Datum: 10.06.2019, Kategorien: Schwule

    ... ein Gedanke, der mir schier unerträglich schien und der sehr qualvoll für mich war.
    
    Das alles und noch so viel mehr ging mir an diesem Abend durch den Kopf, als ich wieder einmal auf dem Weg zurück von einer Vorlesung in meine kleine Wohnung war. Draußen hatte es gerade stark zu regnen angefangen und die Wassertropfen perlten wie Kristalle an der Fensterscheibe von der Straßenbahn herab. Ich saß dort in Gedanken versunken und beobachtete das Spiel von diesen Regentropfen, die dort im Fahrtwind der Straßenbahn zu tanzen anfingen. Zwangsläufig musste ich mir vorstellen, dass es Tränen waren, von denen ich in letzter Zeit nur allzu viele vergossen hatte. Und wie gerne wäre ich in diesem Augenblick eben einer dieser Wassertropfen gewesen, die dort fröhlich miteinander spielten, um dann im nächsten Moment auf Nimmerwiedersehen in die Dunkelheit zu stürzen und dort zu verschwinden. Dafür beneidete ich die Regentropfen geradezu.
    
    Und wahrscheinlich war ich davon viel zu abgelenkt gewesen, so dass ich zunächst gar nicht den Mann bemerkt hatte, der dort nun schräg gegenüber von mir auf dem 4er-Platz der Straßenbahn saß.
    
    Erst als die Bahn dann wieder einmal scheinbar grundlos auf freier Strecke stehen blieb, um wahrscheinlich auf eine andere vorüber fahrende Bahn zu warten, da wandte ich den Blick wieder vom Fenster ab und schaute eher beiläufig auf meinen neuen Sitznachbarn schräg gegenüber. Der war sehr viel älter als ich und schien wohl etwa sechzig oder siebzig Jahre alt ...
    ... gewesen zu sein.
    
    Seine Haare waren auffällig kurz geschnitten und bereits vollkommen ergraut. Auf seinem Schädel zeichnete sich eine sehr ausgeprägte Halbglatze ab, was wohl auch der Grund für die besonders kurz geschnittenen Haare war. Sein Gesicht sah sehr markant aus und er trug einen zurecht gestutzten Drei-Tage-Bart, der nicht viel kürzer als sein Haupthaar war und ebenso stark ergraut. Auf seiner Nasenspitze saß eine kleine Lesebrille, über die er mit seinen braunen Augen hinweg schaute und somit einen strengen Eindruck auf mich machte.
    
    Alles in allem war dieser Mann trotz seines hohen Alters eine recht eindrucksvolle Erscheinung und erinnerte mich rein optisch sehr an meinen alten Mathe-Lehrer, der auch immer ein bisschen streng gewesen war und ebenso viel Respekt auf mich ausgestrahlt hatte. Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass dieser Mann mich ebenfalls über den Rand von seiner Brille anschaute und wohl zu mustern schien - genauso, wie es auch mein alter Mathe-Lehrer immer getan hatte. Doch als sich unsere Blicke dann schließlich trafen, da lächelte er ganz plötzlich.
    
    Ich weiß auch heute noch ganz genau, wie erleichtert ich über dieses kleine, unscheinbare Lächeln gewesen war. So etwas hätte ich mir damals auch einmal von meinem allzu strengen Mathe-Lehrer gewünscht, weil ich den nur eher schlecht gelaunt und mürrisch in Erinnerung behalten hatte. Doch dieser völlig Fremde lächelte mich tatsächlich an, was an diesem Tag, bei diesem schlechten Wetter und ...
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