1. Anita und wir Episode 09.1


    Datum: 12.10.2018, Kategorien: Erstes Mal

    ... nicht gekannt hatte — waren der Meinung, dass wir den Test abwarten sollten, bevor wir ihm irgendetwas erzählten. Aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es den Leuten hier eigentlich gar nicht auf die Genetik ankam.
    
    Anita hatte mich gleich umarmt wie den verlorenen Sohn, und die Schuppachs wie einen verlorenen Neffen. Mehr Umarmungen als ich die letzten zehn Jahre zusammen bekommen hatte — mal abgesehen von meinen Kumpels zu Hause.
    
    Ja,
    
    dachte ich mir,
    
    ganz etwas Anderes.
    
    Was Johanna da mit einem Wildfremden aufführte, war oberpeinlich. Am Empfang des Hotels höflich und freundlich zu sein, war eine Sache. Dem Kerl — und damit uns allen in fast einhundert Zoll Breite — ihre Oberweite unter die Nase zu halten war eine ganz andere.
    
    "Habt ihr alles drauf?", murmelte Max über die Lautsprecher.
    
    Dorothea tippte auf ihrem Handy. Bei Max piepste es, und wir konnten den Text sehen, als er auf das Display schaute. "Perfekt. Doppel-D?"
    
    Er lachte leise. "Mindestens." Dann keuchte er. "Ihr hättet mir sagen sollen, dass es hier keinen Aufzug gibt."
    
    "Ich wollte ihm ja einen Tensing mitgeben", murmelte Jessica. "Selber schuld."
    
    "Was ist ein Tensing?", fragte ich.
    
    "Modell sechzig selbstfahrender und treppensteigender Koffer von deVille", antwortete sie. "
    
    Die
    
    Treppe wäre allerdings eine Herausforderung."
    
    Ich blickte wieder auf den Bildschirm. Ich kannte die steile Treppe zu den Gästezimmern natürlich, war sie schon hunderte Male auf- und abgestiegen. ...
    ... Früher hatte ich immer in den Sommerferien im Hotel gearbeitet und anderer Leute Koffer geschleppt. Umsonst natürlich. Aus Liebe zu Johanna.
    
    Wenn Dorothea recht hatte — was ich immer noch nicht glaubte, aber langsam befürchtete — dann hatte sie wohl schon damals gemerkt, was für ein Trottel ich war, den man ausnutzen konnte.
    
    Eine Hand legte sich auf meinen Arm. Dorothea. "Ich hoffe echt", sagte sie, "dass ich Unrecht habe."
    
    Was sollte ich darauf sagen?
    
    Max
    
    Ich war am Nachmittag angekommen, und wenn ich schon zum Abendessen wieder zurück im Hotel sein sollte, blieb mir nicht allzu viel Zeit. Also lief ich — mit Brille auf der Nase und Handy am Ohr — eine Stunde lang durch den Ort und ließ mich von Lukas über die örtliche Infrastruktur in Kenntnis setzen. Viel gab es allerdings nicht. Zwei Gasthäuser, ein Jugendzentrum, eine Tankstelle, Briefkasten, Bushaltestelle, Ortsgrenze.
    
    Echt jetzt?
    
    Für ein Großstadtkind wie mich war das hier das Ende der Welt. Wenigstens vermietete die Tankstelle Fahrräder, und ich reservierte mir eines ab morgen für die ganze Woche. Ich wusste zwar noch nicht, wie oft und lange ich es brauchen würde, aber da ja Jessica die Spesen zahlte ...
    
    Ich hätte sie ja zu gerne bluten lassen für teures Essen und Getränke, aber noch nicht einmal das gab es hier. Mittagessen für acht Euro inklusive einer Halben Bier.
    
    Das würde kein echtes Loch in ihr Taschengeld reißen. Ich musste wohl schon nach Mühldorf fahren, um Geld ausgeben zu können ...
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