1. Sabine: Am Abend


    Datum: 16.06.2018, Kategorien: Erotische Verbindungen

    "Wer viel zu Fuß gereist ist, bekommt allmählich eine so große Übung in Beurteilung des Standes der Sonne sowohl wie der Wegstrecken seiner Reise-Karte, daß er genau weiß, wann er von einem Ort aufbrechen muß, um sicher noch vor Eintritt der Dunkelheit das von ihm als Nacht-Quartier ausersehene Dorf oder Städtchen zu erreichen; ihm ergeht es nicht so wie dem Verfasser [...], als er erst kurz zum Wanderstock gegriffen hatte und sich eines Abends von der Dunkelheit überrascht sah und, unfähig, eine Land-Karte oder den Kompaß zu Rate zu ziehen, seit zwei Stunden mutterseelenallein auf der Landstraße hingetappt war, müde, hungrig, ohne Ansprache und ohne Direktion. [...] Nachdem ich zur Einsicht gekommen, daß Stehen-Bleiben zu nichts führe und die Feuchtigkeit des Bodens das Aufschlagen des Nachtquartiers auf freiem Feld verbot, beschloß ich, unter möglichster Schonung meiner Kräfte ruhelos weiter zu wandern, und wäre es auch die ganze Nacht, da bei der bekannten Bevölkerungs-Dichtigkeit Deutschlands ich über kurz oder lang auf irgendeine menschliche Niederlassung stoßen müsse. Meine Ausdauer wurde auch mit Erfolg belohnt, insofern, als ich das, was ich suchte, fand: ein Nachtquartier."
    
    Diese Einleitung Oskar Panizzas in "Die Menschenfabrik" ist einfach zu schön, um nicht übernommen zu werden, zumal sie, um die kenntlich gemachten Stücke gekürzt, genau auf meine Situation zutrifft, die sich ergab, als ich vor einiger Zeit meine Familie bei einer Freundin meiner Ehefrau ...
    ... abgesetzt hatte um dann alleine wieder zurück in unsere Heimatstadt zu wandern. Angesetzt hatte ich für dieses Unternehmen nur zwei Tage, gerüstet war ich ebenso wie der Protagonist in der Menschenfabrik, nämlich nur mit einer kleinen Tasche für den Bedarf unter Tage.
    
    Das kleine Städtchen P. war schon lange hinter mir verschwunden und die Witterung an diesem Herbsttag meinte es auch schon einige Zeit nicht mehr so gut mit mir, wie sie es hätte können, der Regen viel schon den ganzen Tag auf mich. Vor einigen Stunden war während einer Abkürzung mein Fuß ausgeglitten und infolgedessen mein Kopf gegen einen Ast gestoßen, was an sich nur kurz schmerzhaft geworden wäre, aber durch das Umbiegen der Hutkrempe einen großen Schwall Regenwasser in mein Genick entließ.
    
    So war meine Stimmung inzwischen der Witterung mehr als angepasst, hatte ich doch auf einen angenehmen Spaziergang durch goldene Herbsttage erhofft, aber stundenlangen Regen, nur kurz unterbrochen durch die Augenblicke, in denen der erbarmungslose Himmel weiteres Wasser zu sammeln wusste, erhalten. Darum hatte ich schon vor einiger Zeit beschlossen die nächste sich mir bietende Gelegenheit zu nutzen und in einem möglichst trockenen Unterstand zu übernachten.
    
    Leider schien ich einen Weg gewählt zu haben, der an jeder menschlichen Behausung oder gar Stadt vorbeiführte, aus, wie ich zwischenzeitlich fand, übertriebener Abenteuerlust hatte ich keine Karte eingesteckt. Ein kleiner Beutel, fand ich, gefüllt mit etwas Brot, ...
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