Liebe Tod und Neuanfang 05
Datum: 15.04.2018,
Kategorien:
Romane und Kurzromane,
... kleine Vase darauf in der eine einzelne rote Rose steckte. Sonst war nur noch ein kleiner Stein darauf gelegt worden auf dem der Name Ingo stand. Nichts weiter kein Nachname, keine Daten. Schlichter ging es nicht, sagte aber im Prinzip alles aus.
Was allerdings die nächsten Tage immer wieder auffiel, war, wie sorgfältig das kleine Grab gepflegt wurde. Kein Grashalm war länger als das andere und die einzelne, rote Rose war immer frisch, wurde mindestens zweimal pro Woche ausgewechselt.
So kam es vor, dass sie noch nicht einmal richtig aufgegangen war, und schon war eine neue mit geschlossener Knospe darin.
Irgendwann machte es mich neugierig, ich wollte wissen, wer derjenige war, der sich dort betätigte. War es eine Mutter, die ihren Sohn zu Grabe getragen hatte, eine Frau, die ihren Mann verloren hatte oder das Grab eines Vaters, dessen Kinder oder Enkel alles pflegten.
Da ich sowieso fast täglich einen Spaziergang zu Silvias letzter Ruhestätte machte, fiel es mir nicht schwer, diese immer zu anderen Uhrzeiten zu tun. Irgendwann würde die Person oder Personen erscheinen.
Es dauerte fast zwei Wochen, als ich sie zum ersten Mal sah. Sie kam fünf Minuten nach zwölf und verschwand zwanzig Minuten später wieder. In dieser Zeit schnippelte sie mit einer kleinen, mitgebrachten Schere das Gras auf exakt die gleiche Höhe und stellte eine neue Rose in die Vase. Dann stand sie noch fünf Minuten stocksteif vor dem Grab und sah hinunter. Erst dann drehte sie sich um und ...
... verwand wieder in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Ich saß währenddessen auf einer Bank, die aber zu weit weg gewesen war, um sie genauer zu betrachten, zumal sie mir den Rücken zugedreht hatte.
Daher sah ich sie nicht von vorne, nur ihr Profil war beim Ankommen und Gehen zu erkennen, aber aufgrund der weiten Entfernung nicht eindeutig. Das Einzige, was gleich auffiel, war, dass sie sehr klein sein musste, was man erst richtig bemerkte, wenn ein anderer Mensch an ihr vorbei lief. Fast immer waren die anderen mindestens einen Kopf größer.
Dazu kam, dass sie sehr anders gekleidet war, als man sich Menschen an diesem Ort vorstellte. Immerhin war sie dabei, ein wenig Gartenarbeit zu machen. Da wirkte es befremdlich, dass sie eine Kombination trug, die mich an Menschen erinnerte, die in Banken arbeiteten. Halblang der Rock, dazu einen gleichfarbigen Blazer, der das gleiche Dunkelblau aufwies. Dazu noch schwarze, halbhohe Pumps.
Dann fragte ich mich, wie oft sie wohl kam, denn es konnte nicht nur an einem Tag der Woche sein.
Vielleicht kam sie immer zur gleichen Zeit, dann würde es relativ einfach werden, es heraus zu bekommen.
Es stimmte tatsächlich. Montags, mittwochs und freitags kam sie jedes Mal um fünf Minuten nach zwölf, verrichtete immer die gleichen Tätigkeiten und verschwand um fünf Minuten vor halb eins. Dabei brachte sie jeweils montags und freitags eine neue Rose mit.
Vier Wochen sah ich es mir von meiner Bank aus an und es änderte sich nie. ...