1. Das Weinbacher Kaiserfest - Kapitel II


    Datum: 15.07.2020, Kategorien: CMNF

    ... verlangten selten viel mehr als die vereinbarte Pacht, und er würde es verschmerzen können, wenn er dies Jahr ein, zwei Wochen für Gotteslohn arbeitete.
    
    "Fein, fein, mein lieber Albrecht", lächelte der Schreiber. "Du bist ein kluger Kopf, nicht alle Deiner stinkenden Standesgenossen hier draußen wissen solche Dinge zu schätzen. Gut…“ Er schrieb etwas auf seine Pergamentrolle, dann sagte er ohne aufzusehen: “Dann ruf jetzt bitte Deine Töchter herbei.”
    
    “Warum? Was wollt ihr von meinen Mädchen?” Albrecht war ein freundlicher und gemütlicher Mann, der mit aller Welt gut auskam, und er hatte früh im Leben gelernt, dass es keinen Sinn hatte, sich mit edlen Herrschaften anzulegen. Aber wenn es um seine Kinder ging, verstand er wenig Spaß.
    
    “Oh, kein Grund zur Sorge, mein guter Albrecht!” lachte der Schreiber. Trotz seiner bewaffneten Eskorte schien ihn der plötzliche Stimmungsumschwung des eben noch so unterwürfigen Müllers ein wenig nervös zu machen. “Wir wollen nur eben sehen, ob Ihnen vielleicht eine noch größere Ehre zuteil werden könnte als Dir. Nämlich hat der Rat auch beschlossen, dass die liebreizendsten Jungfern der Stadt seiner Majestät entgegeneilen und ihn nach Weinbach geleiten sollen. Wir nehmen daher alle jungen Mädchen in der Umgebung in Augenschein, um eine Vorauswahl zu treffen. Ich kann Dir versichern, dass ihnen niemand Leid zufügen wird, im Gegenteil.”
    
    “Nun gut, Herr, ich verstehe”, brummte der Müller. “Anna! Grete! Die Herrschaften wollen euch ...
    ... sehen!”
    
    Grete sprang sofort über den Zaun und rannte so schnell sie konnte über den Mühlengrund. Anna nahm mit Otto an der Hand den Umweg durch das Tor und bemühte sich, gelassen und damenhaft zu erscheinen, obwohl sie mindestens so aufgeregt war wie ihre kleine Schwester. Den Kaiser in die Stadt geleiten! Das war wahrlich eine große Ehre!
    
    “Ah, da hast Du ja zwei feine Mädchen, Müller. Du bist die kleine Grete, nicht wahr?” sagte der Schreiber, packte Annas Schwester grob am Kinn und drehte ihren Kopf hin und her, um ihr Gesicht zu begutachten. “Nun ja, Du wirst sicher in Bälde ein recht hübsches Ding werden, aber Du erscheinst mir doch etwas jung, nicht wahr. Wie alt ist sie, Müller?”
    
    “Zwölf Lenze hat sie gesehen”, sagte Albrecht. Anne betrachtete die beiden Pikeniere. Der eine war etwas jünger als ihr Vater, hatte Narben im Gesicht und starrte unbewegt in die Ferne. Aber der andere war ein junger Mann, kaum älter als sie selbst, blond, groß gewachsen, gut gebaut und mit einem drolligen hellen Flaum auf der Oberlippe, der wohl dereinst ein Schnurrbart werden sollte. Er gab sich redlich Mühe, ähnlich unbeteiligt zu wirken wie sein Kamerad, aber es gelang ihm ganz und gar nicht. Anna senkte den Blick, als er sie ansah. Hatte er sie gerade angelächelt?
    
    “Zwölf… nun, das ist zu jung. Der Rat wünscht Jungfrauen, keine Kinder. Tut mir Leid, meine Kleine, vielleicht ein andermal.” Der Schreiber tätschelte Gretes Wange und wandte sich Anna zu. “Dann musst Du Anna sein. Du bist ...
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