1. Die Richterin Teil 5


    Datum: 29.05.2020, Kategorien: CMNF

    Prüfend schaute Martin auf den fertig gedeckten Tisch. Er rückte noch rasch die Gläser ein wenig zurecht und zündete eine Kerze an. Dann ging er zum Herd und warf einen Blick auf die in Wirsingblättern eingewickelten Hähnchenbrüste, die in einer Sahnesauce leise vor sich hin schmurgelten. Er schmeckte sie noch einmal ab und fügte eine winzige Prise Salz hinzu. Jetzt war es perfekt.
    
    Maria hatte ihn überrascht angeschaut, als er sie vor zwei Tagen zum Essen eingeladen hatte. Sie hatte erst einen Moment gezögert, dann aber doch die Einladung angenommen. Ihr Verhältnis zueinander hatte sich seit dem Besuch Müchelers vor einer Woche stark abgekühlt. Und Martin wusste, dass es auch ihr aufgefallen sein musste, dass er sich ihr gegenüber in den letzten Tagen äußerst zurückhaltend verhalten hatte. Sie hatten zwar noch zweimal miteinander geschlafen, aber Martin spürte, dass Maria ihm fremd zu werden begann. Das, was er an dem besagten Nachmittag in Marias Büro heimlich beobachtet hatte, hatte in gleichermaßen entsetzt und fasziniert. Warum hatte sie das getan, hatte er sich die ganze Zeit über gefragt. Nun vielleicht würde der heutige Abend Aufklärung bringen, dachte Martin, während er die Flasche Grauburgunder entkorkte und auf den Tisch stellte.
    
    Das Essen verlief in oberflächlicher Freundlichkeit. Martin berichtete ein paar Anekdoten aus seinem Studienseminar, sie tauschten den üblichen Kollegentratsch aus und Maria erzählte, dass sie wahrscheinlich im Herbst, wenn die ...
    ... große Hitze abgeklungen war, für zwei Wochen nach Lipari fahren würde, wo sie das Ferienhaus ihrer Eltern bekommen könnte. Es war ein eingespieltes Ritual an solchen Abenden, dass sie nach dem Essen aufstanden und sich in das Wohnzimmer von Martins kleinem, geschmackvoll eingerichtetem Appartement begaben, um dort miteinander auf dem Sofa zu kuscheln und zu schmusen. Sie räumten rasch den Tisch ab und stellten das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und gingen dann gemeinsam ins Wohnzimmer, wo es sich Maria sofort auf dem Sofa bequem machte. Martin musste schlucken, als er sah, wie sich Marias Rocksaum nach oben schob und er ein Stückchen ihrer schwarzen Strapse erkennen konnte, als sie sich über die Sofalehne beugte, um das Licht der Stehlampe herunter zu dimmen. Bestimmt trägt sie ihr schwarzes Mieder, dachte er.
    
    Sie drehte sich um und schaute ihn mit erwartungsvollen Augen an. "Komm", sagte sie.
    
    Martin stand schweigend vor ihr und schaute mit ernster Miene auf sie herab, dann setzte er sich in einen der beiden Sessel, die dem Sofa gegenüberstanden.
    
    Er räusperte sich, musste einmal schlucken und sagte dann mit belegter Stimme, "Ich möchte mit Dir reden, Maria"
    
    "Reden?", fragte Maria unsicher. "Über was denn?"
    
    Martin stand auf, schaltete die Deckenlampe an und ging zu dem kleinen Biedermeiersekretär und entnahm ihn einen Umschlag. Dann setzte er sich wieder und schob Maria den Umschlag über den Sofatisch zu.
    
    "Darüber", erwiderte er und schaute sie ernst ...
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