1. Tochter der Nacht


    Datum: 03.01.2020, Kategorien: CMNF

    Habt ihr schon einmal einen Engel gesehen? Wenn nein würdet ihr mich wahrscheinlich für einen halten. Dies liegt an der Ebenmäßigkeit meiner Gesichtszüge, der Helligkeit meiner Haut und der fast Vollkommenheit meines Körpers. Doch ich will euch nicht mit der Aufzählung meiner Vorzüge langweilen. Ich möchte mich offenbaren und endlich aus dem Schatten meiner Existenz und der der Meinigen heraustreten. Dies soll der Bericht meines Lebens sein, ein Leben wie ihr es noch nie gehört haben werdet.
    
    Ich wurde in einer Zeit als Tochter eines armen Bauerns geboren die ihr als eine dunkle, als eine kriegerische Epoche kennt, den Übergang des Mittelalters zur Neuzeit. Unser Ackerland warf gerade genug für unsere Familie ab um mit Müh und Not zu überleben ohne zu hungern. Die Abgaben an unseren Lehnsherr und an die Kirche konnten wir nicht immer pünktlich zahlen und doch waren wir glücklich mit dem was wie hatten.
    
    Im Schmutz der Straße und des Hauses, unter der harten Arbeit auf dem Feld meines Vaters und der anstrengenden Haushaltsarbeit unter der Weißung meiner Mutter wuchs ich zu einer Schönheit heran. Die Jungen unseres Dorfes standen bei mir Schlange, jeder wollte bei den Festen mit mir tanzen, jeder warb um mich doch nur einer hatte es geschafft mein Herz zu erobern, doch genau dieser schien überhaupt kein Interesse an mir zu haben. Er hieß Otto, wie der Kaiser der unser Land nach dem Tod Heinrichs IV. regiert hatte. Eigentlich kannte ich ihn schon seit meiner gesamten ...
    ... Kindheit. Ein hässliches Kind war er gewesen, oft verspottet und ausgegrenzt, doch mit der Pubertät verwandelte er sich in einen regelrechten Schönling, aber nicht etwa in seinem Charakter sondern rein äußerlich. Er hätte jedes Mädchen unseres Dorfes haben können, doch wies er sie alle reihenweiße ab. Die Eine war ihm zu dumm, die Andere zu stolz – diese schien er mit Vorliebe abzuweisen – und die Nächste zu unterwürfig. Ich könnte diese Liste noch endlos fortsetzen doch wäre dies eine andere Geschichte.
    
    Nun, wie ich schon angemerkt hatte, ich hatte mich Hals über Kopf in ihn verliebte. Das Herz wollte mir zerbrechen konnte ich nicht in seiner Nähe sein, meine Nerven waren bis zum zerreißen gespannt sah ich ihn in der Ferne vorbeilaufen, ein Kloß saß mir im Hals wenn ich zu ihm sprechen wollte und die blanke Eifersucht überkam mich turtelte er mit einer Anderen herum, kurz gesagt ich fühlte mich hin- und hergerissen, je ob er greifbar war oder nicht.
    
    Zwei Jahre lang litt ich und konnte an nichts anderes als ihn denken. In dieser Zeit lernte ich, dass ich meinen Gedanken am besten nachts vor unserem kleinen Hof am Dorfrand nachhängen konnte. So kam es auch, dass ich einen Engel kennenlernte, jedenfalls dachte ich es damals. Ich war wieder einmal so tief in meinen Liebeskummer versunken, dass ich nicht mitbekam wie er plötzlich neben mir auf der Bank saß und in die gleiche Richtung wie ich starrte. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie stark ich zusammenzuckte als er ...
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