1. Der Schlitz im Abendkleid


    Datum: 20.11.2019, Kategorien: CMNF

    ... schade.
    
    Seltsamerweise war auch Kurt in festlicher Umgebung nicht auf ein kurzes Abenteuer aus. Hier verkehrten die Frauen, die er gerne auf Dauer an seiner Seite hätte. Zweimal war das jährliche Fest für ihn der Beginn einer leidenschaftlichen Affaire geworden. Im letzten Jahr war ihm die Frau seiner Träume sogar nach Madagaskar gefolgt; sie verstanden sich prächtig in jeder Lebenslage und hatten sogar schon die Vornamen der geplanten Kinder abgestimmt.
    
    Doch dann wurde seine Partnerin nicht mit den harten Lebensumständen an einer tropischen Baustelle fertig. Nach zwei Monaten verließ sie ihn und kehrte nach Deutschland zurück. Drei Zeilen auf einem abgerissenen Zettel waren die letzte Erinnerung an Aline.
    
    Nach dieser Enttäuschung hatte Kurt die Hoffnung auf eine Frau an seiner Seite aufgegeben. Da sein Ingenieursberuf, den er auch nach Jahren noch liebte, ihn immer wieder in andere Ecken der Welt führen würde, mußte er auch in Zukunft mit kurzen Affairen ohne den Gedanken an eine gemeinsame Zukunft leben. Es galt nur, diesen Abend mit sicher vielen attraktiven und begehrenswerten Frauen ohne Liaison zu überstehen.
    
    So setzte sich Kurt, als er den Calderon-Saal betreten hatte, schnell an einen nur von Männern bevölkerten Tisch in der hinteren Ecke. Er kannte sie alle: Theo, den Vermessungsingenieur, der sich vorzugsweise in Ostasien herumtrieb; Olaf, den trinkfesten Bauleiter, zur Zeit in Alaska im Einsatz; Martin, den Geophysiker, der den Untergrund Mexicos nach ...
    ... Ölvorkommen durchforschte; Ulrich, den Polier mit der Bodybuilder-Figur, den es immer wieder nach Neuseeland zog; Peter, den Marketing-Experten, der von Essen aus immer neue Aufträge an Land zog; Karl, der vor Norwegen Bohrinseln aufbaute, und schließlich den alten Georg, der sich nicht von den Stahlwerken Südaustraliens loseisen konnte.
    
    Auf den letzten freien Stuhl setzte sich Kurt, der sofort von den übrigen nach den Ereignissen des vergangenen Jahres im Süden Afrikas befragt wurde. Ja, hier war er sicher vor Erotik, und amüsant würde der Abend auch werden. Schließlich teilten sie das Interesse für Lebensformen weitab von der westlichen Zivilisation, war jeder der Anwendenden geübt, mit den Gefahren der Fremde umzugehen, und zuletzt verband sie die Fähigkeit, das Erlebte packend in Worte umsetzen zu können.
    
    Während das Essen serviert wurde, vertieften sich die Welterfahrenen so in ihre Berichte aus der Ferne, daß der Saal ringsum für sie nicht zu existieren schien. Erst als der hohe Chef aus Essen auf der Bühne zum Mikrofon griff, verstummten ihre Gespräche. Dr. Ignaz Bauernknecht blieb auch in diesem Jahr seinem fehlenden Talent als Redner treu. Langatmig schilderte er die abgeschlossenen Firmenprojekte, gab Zwischenberichte über Aktuelles und erwähnte zuletzt, wo demnächst neu gebaut werden sollte.
    
    Wie in jedem Jahr wurden anschließend die verdientesten Mitarbeiter und die Jubilare besonders hervorgehoben. Einer nach dem anderen trat nach Aufruf auf die Bühne und ...