1. Freundinnen Kapitel 19


    Datum: 25.10.2017, Kategorien: Macht / Ohnmacht

    ... sah, als Inbild ihrer Traumfrau bezeichnen; das wußte sie, ohne dabei ein unangemessenes Gefühl der Eitelkeit zu empfinden. Die makellose Figur, das gut geschnittene, hübsche Gesicht, das üppige, über viele Jahre gut gepflegte lange Haar. Sie merkte, wie sich ein Kloß in ihrer Kehle zu bilden schien, als sie im Spiegel den Friseur mit einer Handbewegung den Lehrling zur Seite weisen und rechts neben ihr stehenbleiben sah. Sie sah die glänzende Schere in seiner Rechten, hörte wie er sie leise ansprach. Aber sie war starr und hatte das Gefühl, sich keinen Millimeter von der Stelle rühren zu können. »Warum tust Du nichts? Willst du das wirklich zulassen? Es ist noch nicht zu spät...« Benommen hörte sie die Fragen in ihrem Kopf herum rasen, ohne dass sie zu einer Antwort fähig gewesen wäre. Der Friseur hatte wiederum im Spiegel ihren Blick gesucht, aber sie war ihm ausgewichen. So wandte er sich noch einmal zu Anja um und Kathrin sah ihre Freundin mit dem Kopf nicken. Sie hörte den Mann leise seufzen, als er mit der Linken eine breite Strähne ihrer Haare, die sich auf ihre rechte Brust herunter ringelten ergriff und straffte. Mit der Rechten führte er die Schere in Höhe ihres Ohrläppchens an den dunkelglänzenden Strang und schien aufs neue zu zögern. »Si, por favor«, hörte sie Anjas Stimme und gleich darauf das knirschende Geräusch, als die scharfe Schere durch die dicke Strähne schnitt. Obwohl ihr Herz nun wie rasend klopfte, fühlte Kathrin, wie sich nach diesem ersten ...
    ... Schnitt auf einmal eine merkwürdig beruhigende Gewissheit in ihr ausbreitete: die Gewissheit, dass sie sich nicht wehren würde, dass Anjas Wunsch wichtiger war, als das, was sie vielleicht selbst wollte, wenn sie allein entscheiden dürfte. Jetzt, wo es keine bloße Idee mehr war, die sie innerlich erschauern ließ und die sie in den letzten beiden Tagen immer wieder als Unsinn verworfen hatte, sondern Wirklichkeit, gab sie ihren Widerstand auf und ließ einfach geschehen, was geschehen mußte. Wie hypnotisiert sah sie im Spiegel, wie der Friseur nun auch seine anfänglichen Hemmungen verloren zu haben schien und mit schnellen und sicheren Handgriffen das einmal Begonnene fortsetzte. Wieder und wieder griff er in ihr Haar und immer aufs neue hörte Kathrin das Knirschen mit dem ihr eine fingerdicke dunkle Strähne nach der anderen auf mittlerer Ohrhöhe stumpf abgeschnitten wurde. Einige der abgeschnittenen, um die fünfzig Zentimeter langen Locken waren inzwischen über ihre Brüste herabgerutscht und lagen nun wie reglose, dunkle Schlangen auf ihrem hellen T-Shirt, andere waren bis auf die nackte Haut ihrer sonnengebräunten Schenkel hinabgerutscht. Merkwürdigerweise war es ein seltsames Gefühl von... ja, Befreiung, das sie ihrem Herzklopfen zum Trotze durchströmte. Nach den vorangegangenen Tagen des Zweifels und der instinktiven Abwehr der bloßen Möglichkeit, was passieren sollte, war dies hier nun tatsächlich und unwiderruflich das Ende für ihr prächtiges langes Haar. Für so lange Zeit ...
«1234...7»