1. Der Untermieter


    Datum: 05.02.2018, Kategorien: Betagt,

    ... war sie doch ein wenig beschwipst. Sie stützte sich mehr auf ihn, als auf dem Hinweg, und sie richtete auch nicht ihr Kleid im Auto, als von ihren Schenkeln mehr gezeigt wurde, als es sollte. Nicht, weil sie mehr zeigen wollte, sondern, weil sie es einfach nicht merkte - ganz im Gegensatz zu ihm.
    
    Zu Hause angekommen, fuhr er nicht in die Garage, sondern stellte den Wagen im Garten, neben dem Haus ab. Es war eine helle, wolkenlose Nacht, auch die Sterne konnte man besser sehen, als in der Stadtmitte, wo die Lichter die Laternen des Himmels überstrahlten. Sie war immer schon romantisch, und blieb es auch bis heute. Nach paar Schritten blieb sie unter einem großen Baum, dessen Krone die Lichter des Nachbarhauses verdeckte stehen, und blickte zur Himmel empor. Nach kurzem Suchen zeigte sie auf einen Stern:
    
    - Als junges Mädchen suche ich mir jenen Stern aus. Keine Ahnung warum, ich weiß nicht mal den Namen. Viellicht, weil er so alleine, etwas abseits von den anderen leuchtet, und mir Leid tat.
    
    - Jener ist mein Stern - zeigte der Junge auf einen entfernten Punkt des Himmels, wobei er, sozusagen rein zufällig, mit seiner Hand ihren Busen streifte.
    
    - Ihr Stern steht auch nicht gerade im Mittelpunkt des Geschehens - lachte sie - hätte gar nicht gedacht, dass auch Du die Einsamkeit magst. Entschuldigung, ich meinte natürlich Sie - korrigierte sie sich sofort. Es war nicht beabsichtigt, aber die romantische, fast familiäre Atmosphäre verleitete sie geradezu.
    
    - ...
    ... Dieses 'Du" war so schön, könnten wir nicht dabei bleiben? Nehmen wir so, als ob wir mit dem Sekt schon Bruderschaft getrunken hätten. Es fehlt nur noch eines - lächelte er verschmitzt.
    
    - Was? - fragte sie unvorsichtiger weise, und wusste sofort, dass sie das nicht hätte tun sollen, den ihr wurde gleich klar, woran er gedacht hat.
    
    - Der Höhepunkt. Der Kuss, das fehlt.
    
    Sie wusste nicht, was sie tun soll. Es war ein ausgesprochen angenehmer Abend, sie fühlt sich mehr als wohl. Dieser Bursche ist wirklich süß, höflich, und schien von ihr hingerissen zu sein. Gerade das ist das Problem. Wenn es nicht so wäre, würde ein Kuss nichts bedeuten, für keinen von ihnen. Aber so würde er mehr wollen, das, was sie nicht bereit ist, ihm zu geben.
    
    Bei dem Gedanken stutzte sie. Ist sie wirklich nicht bereit? Warum ist sie heute mit ihm ausgegangen? War wirklich nur die Enttäuschung, das ursprüngliche Programm ersetzen zu wollen? Warum hat sie dann ihre bereits perfekte Schminke so sorgfältig kontrolliert? Sie mag keinen Lippenstift, nur Lippenglanz, heute hat sie aber doch ein wenig Lippenstift aufgetragen, warum denn? Und neulich, als sie aus der Dusche kommend sich splitterfasernackt ihm präsentierte, warum hatte sie so ein komischen Gefühl im Hals? Drei Jahre sind eine verdammt lange Zeit, will sie denn wirklich nicht mehr geben? Nun, ermuntern wird sie ihn sicher nicht. Alles andere ergibt sich dann.
    
    - Ja, der Kuss fehlt wirklich noch - sagte sie bewusst unbetont, und blieb ...
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