Die Zeitzeugin
Datum: 01.07.2020,
Kategorien:
Betagt,
... nicht verzichten, die war unsere Tarnung. Bei fünfzig Leuten wurde das aber in dem hinteren Raum doch recht eng."
„Bis zu fünfzig? Männlein und Weiblein bunt gemischt?"
„Oh ja, die Mischung war ganz gut. Meistens so zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen." Plötzlich lacht sie. „Obwohl, ich erinnere mich da an eine Sache. Das war noch ziemlich am Anfang. Es hatte sich gerade herumgesprochen, also von Mund zu Mund und nur an vertrauenswürdige Leute, dass wir da ‚tätig' waren. Und an einem Abend waren dort dann plötzlich zwanzig Männer, aber aus irgendwelchen Gründen nur eine Frau. Nämlich ich."
„Oh je, da lief dann vermutlich nicht so viel."
„Nun, wie man es nimmt. Als mir klar wurde, dass keine Frau mehr kam, habe ich es einfach sportlich genommen. Und ich kann sagen, dass ich an diesem Abend alle anwesenden Männer glücklich gemacht habe." Sie sagt dies so, als ob sie eine Anekdote aus der Schulzeit erzählt. Aber ihr Gesicht ist leicht spöttisch, leicht angespannt. Sie wartet auf die Reaktion, die ich zeigen werde. Aber peinlich scheint es ihr nicht zu sein. Nein -- das erkenne ich plötzlich -- sie ist auf diese Leistung stolz.
Ich komme aus dem Staunen kaum heraus. Vermutlich steht mir der Mund offen. Jedenfalls muss ich schlucken bei der Vorstellung, wie Frau Müller zwanzig Männer ‚glücklich gemacht hat', wie sie es formuliert hatte. Hatte sie etwa mit zwanzig Männern an diesem Abend geschlafen? Ich schluckte noch mal.
Frau Müller lachte. „Sie sagen ...
... ja gar nichts mehr."
„Äh, ja. Das kommt doch irgendwie etwas überraschend. Von diesen ganzen Geschichten hatte ich ja gar keine Ahnung." Ich schüttele lachend den Kopf. „Wie sollen wir das denn in der Dorfchronik bringen?"
Frau Müller lacht ebenfalls. „Ich glaube, darüber decken wir einfach den Mantel des Schweigens. Auch wenn das nun schon gut zwanzig Jahre her ist, dürfte der ein oder andere kein großes Interesse haben, dass das publik wird. Schon gar nicht der Herr Landwirtschaftsminister."
„Der Landwirtschafts.....? Sie meinen.... Der war auch dabei?"
„Aber sicher. Und nicht zu knapp. Und ein paar andere Leute, die nach der Wende ganz nach oben gekommen sind."
Ich schüttele noch einmal den Kopf. „Ja. Sie haben sicher Recht. Vielen Dank für Ihre Offenheit. Aber in der Chronik schreiben wir dazu besser nichts. Obwohl das schon ein Knaller wäre. Was Sie da erzählt haben. Sie allein mit zwanzig Männern -- da wäre man gern Mäuschen gewesen."
„Wieso Mäuschen?", kokettiert Frau Müller. „Sie hätten doch hoffentlich nicht nur zugesehen, so ein gut aussehender Bursche wie Sie?"
Ich wiege in gespieltem Nachdenken den Kopf. „Mal überlegen. Ist zusehen besser, wenn so eine tolle Frau wie Sie mit zwanzig Männern ..... in einem Raum ist", ich umschreibe die Situation galant, „... oder sollte man lieber mitmachen?" Ich tue so, als ob es eine schwere Entscheidung wäre. „Ich glaube -- mitmachen!"
Frau Müller verbeugt sich dankend. „Danke schön, das hätte ich auch ...