1. Das Lied ohne Sprache


    Datum: 15.06.2020, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie

    ... allein wandelten sie durch die Träume, von denen der andere niemals etwas erfahren sollte.
    
    Denn am nächsten Abend wachte sie auf, und sie fand ihre Seite leer vor. Hylia stand auf, nackt wie sie war, und ging aus dem Zimmer heraus.
    
    Die Tür zum Felde stand noch immer offen, und das Blut war am Boden getrocknet. Sie trat aus der Tür hinaus ins freie, und sog tief die Luft ein, die vom Weizenfeld her zu ihr wehte. Hinter dem Feld, weit in der Ferne, ging die Sonne unter, orange, das Gelb der mittaglichen Sonne war geschwunden.
    
    Sie wollte schon wieder hineingehen, als sie etwas spürte. Dem Gefühl folgend sah sie nach rechts, und auf der Veranda, mitten im Holz, steckte das Stahlschwert des Hexers. Am Griff hingen zwei Halsketten, und an diesen zwei silberne Katzenköpfe. Die Medaillons von Hexern.
    
    Sie ging näher heran, und sie sah die Schrift, die Rivaell auf den Köpfen hinterlassen hatte.
    
    Hylia lächelte, richtete sich auf und blickte in die Ferne.
    
    „Va fail", erwiderte sie den Abschiedsgruß, und streckte die Hand nach den Medaillons aus, entschied sich dann aber doch dagegen, und ließ sie so, wie sie waren.
    
    Hätte sie das Silber der magischen Schmuckstücke berührt, hätte sie gesehen, was kommen wird. Sie hätte gesehen, wie sie in einigen Monaten, nachdem sie wieder angefangen haben würde zu reisen, an einem ...
    ... Herbsttag auf ihn treffen wird. Sie in ihrer schwarzen Kleidung, mit den Sommersprossen und den langen schwarzen Haaren und den blauen Augen, und er mit seinen Narben, dem Katzenmedaillon, den gelben Augen und dem Schwert.
    
    Sie würden erneut kämpfen, doch diesmal würde er obsiegen, denn sie war die Verräterin und er der Mann mit einer Zukunft. Dennoch wird er weinen, während sie in seinen Armen stirbt. Er würde weinen und weinen über die grausame Echtheit der Ereignisse, bis in die regnerische Nacht des Herbstes hinein. In ihren letzten Momentan werden der lächelnden Hylia Tränen aus den Augen kullern und sich mit dem Staub vermengen.
    
    Kein Barde wird zugegen sein, und keiner wird je davon erzählen, denn niemand sah diese Geschichte. Niemand all der Leute, die die Suche damals antraten, die zusammen fanden, was sie einzeln nicht hatten finden können, wird am Ende noch leben, um die Geschichte von Hylia und Rivaell zu erzählen.
    
    Nur Rivaell wird noch davon wissen, und er wird es niemals irgendjemandem mehr sagen. Rivaell wird für immer in seinem tiefsten Inneren ein Lied singen, das keinen Titel trägt und das keine Sprache besitzt, den nichts kann übersetzen, was geschah. Nichts, außer dem Wehen von Gräsern im Wind, dem Geruch nach Weizen im Sommer und dem Flackern von Feuer in der Nacht, in der der Himmel voll Sterne ist. 
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