1. Judith


    Datum: 24.04.2020, Kategorien: Erotische Verbindungen

    ... vielen Dingen, die ich mache und die ich geschafft habe, überlege ich, wie er darauf reagiert hätte. Seien es sportliche Erfolge, das Abi, der Führerschein... Bei all meinen Entscheidungen frage ich ihn innerlich um Rat. Ich halte Zwiesprache mit ihm. Doch irgendwann realisiere ich, dass ich mit mir selbst rede. Dass er nicht antwortet. Dass er einfach nicht da ist. Das ist ein schmerzliches Gefühl."
    
    In Judiths Gesicht lag Kummer. „Was ich dir jetzt erzählen muss, wird nicht einfach für uns beide. Aber ich kann nicht anders. Es geht um deinen Vater und mich."
    
    Leo spürte plötzlich ein seltsam flaues Gefühl im Magen. Was wollte sie ihm sagen?
    
    „Dein Vater und ich", sagte Judith langsam, „waren voneinander besessen. Und sein Tod bedeutete für mich die schwärzeste Stunde meines Lebens."
    
    „Wie bitte?" fragte Leo tonlos.
    
    „Lass mich dir die ganze Geschichte erzählen. Schon als ich deinem Vater bei Wolfgangs und meiner Hochzeit zum ersten Mal begegnete, fiel er mir auf. Nicht, dass ich in irgendeiner Weise als Frau an ihm interessiert gewesen wäre -- ich heiratete ja gerade einen Mann, den ich zu jener Zeit wirklich liebte. Er fiel mir einfach nur auf. Die eigentliche Geschichte begann erst Jahre später. Du erinnerst dich vielleicht an die Feier anlässlich des 70. Geburtstages von Onkel Wilhelm?"
    
    Leo erinnerte sich dunkel. Die Familienfeiern seiner Kindheit waren in seinem Gedächtnis ein Einheitsbrei aus unbekannten Gesichtern und langweiligen Nachmittagen.
    
     „Bei ...
    ... dieser Feier kamen wir zum ersten Mal länger ins Gespräch. Man kann es nicht einmal als Flirt bezeichnen. Es war im Grunde nichts als ein nettes Nachmittagsgeplauder im Kreis der Familie. Und doch spürten wir beide bald eine unerklärliche Anziehungskraft aufeinander. Wie man so schön sagt: es hat zwischen uns gefunkt. Unsere Ehepartner saßen am selben Tisch und merkten nichts davon."
    
    Leo merkte, wie sein Mund trocken würde. Er zweifelte, ob er die Fortsetzung der Geschichte wirklich hören wollte.
    
    „Wir tauschten Telefonnummern aus. Er rief mich wenige Tage später an und wir verabredeten uns zwanglos zum Mittagessen. Ich weiß nicht mehr, wie dieses Treffen verlief und worüber wir sprachen. Ich weiß nur, dass wir noch am selben Nachmittag miteinander im Bett landeten."
    
    „Nein!" rief Leo leise.
    
    „Es war der Beginn einer Affäre, die fast ein Jahr lang dauerte. Wir waren regelrecht süchtig nacheinander. Zunächst trafen wir uns sporadisch bei mir zuhause in Frankfurt, wenn Wolfgang gerade nicht da war. Aber das war keine Dauerlösung, und die seltenen Treffen reichten uns nicht mehr aus. Deshalb suchten wir nach neuen Möglichkeiten."
    
    Leo konnte nicht glauben, was er hörte. Es musste alles ein Missverständnis sein. Es war unmöglich, dass sie wirklich von seinem Vater sprach.
    
    „Diese Wohnung hier stand damals leer", fuhr Judith fort. „Sie gehörte noch meiner Großmutter. Doch die war gerade in ein Seniorenheim übersiedelt und hatte mir den Schlüssel überlassen, damit ich ...
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