1. Transsib (10 - 12)


    Datum: 06.07.2019, Kategorien: Macht / Ohnmacht

    ... abgenommen und ich werde aufgefordert, mich nochmals auf die Toilette zu begeben. Es geht wieder zum Klo in den Nachbarwagen, nur diesmal darf ich das Höschen und das T-Shirt nicht tragen. Ich muss also völlig nackt den Wagen wechseln und fürchte, dass mich nun noch mehr Menschen, die Reisenden jenes Wagens, so sehen werden. Dies ist nicht der Fall. Einer der Milizionäre hat dafür gesorgt, dass die Tür von der Plattform mit dem Klo und dem Seitengang vor den Abteilen geschlossen ist. Dann werde ich wieder in den Gepäckwagen zurückgeführt. Um meine Handgelenke werden mir Manschetten gelegt und die Arme und Hände an einem Seil über eine Umlaufrolle in die Höhe gezogen, so dass ich mich nur leicht bewegen kann, wenn auf den Zehenspitzen stehe. Dann werden mir mit einem schwarzen Tuch die Augen verbunden. Jetzt bin ich zu Besichtigung freigegeben. Ich merke bald, dass diese Besichtigung auch handgreiflich erfolgen darf. Ich höre Männer und Frauen angeregt über mich, das von mir Erzählte und meinen Körper diskutieren, auch was ich so auszuhalten in der Lage sei. Ich höre gutes wie schlechtes über mich. Immer wieder streichen Hände über meine Arme und Beine, auch über meine Brüste, meinen Po. Und einige Male spüre ich, wie eine Hand durch mein üppiges Schamhaar fährt, ja daran zupft. So langsam ergibt sich für mich aus den Wortfetzen ein Bild, was mich wohl erwartet. Meine Arme und Beine werden von Minute zu Minute müder und verkrampfter. Das Zeitgefühl habe ich längst ...
    ... verloren.
    
    Endlich ruft der Leutnant das Publikum zurück. Die Pause ist beendet. Die Augenbinde wird mir abgenommen. Der Leutnant fragt mich, und dies erstaunt mich, ob ich das Urteil des Publikums erfahren und mich diesem unterziehen möchte oder ob ich nicht doch lieber in mein Zugsabteil zurückkehren möchte. Daran, dass ich zweites verlangen könnte, habe ich wirklich nicht mehr gedacht. Auch spüre ich jetzt das dumpfe Bedürfnis nach Strafe, nach Verurteilung. Nicht etwa weil ich mich als schlechter Mensch fühle, sondern weil ich im Moment glaube, etwas Verborgenes abschließen zu können. So bitte ich um ein gerechtes Urteil, welche Formulierung einmal mehr Lachen hervorruft.
    
    (12) Ich werde nun losgebunden und darf mich auf eine Kiste setzen. Das tut gut. Der Leutnant bittet das Publikum um Ruhe und Aufmerksamkeit. Dann stellt er mir eine einleitende Frage: ob ich in meiner Jugend eine starke erzieherische Hand genossen hätte. Ich antworte wahrheitsgemäß, es habe öfters Hausarrest gegeben. Ob ich von den Eltern und Lehrern auch Haue bezogen hätte. Nein von den Lehrern nie, von den Eltern auch eigentlich nie. Eigentlich? Ich sehe verzweifelt zur Wagendecke und antworte kaum hörbar, einmal hätte ich eine Tracht Prügel erhalten, und das hätte ich verdient gehabt. Der Leutnant sieht mich an, sagt nichts. Ich muss die Stille unterbrechen und ergänze stockend, ich hätte etwas in einem Laden geklaut und sei erwischt worden. Das sei aber nun 15 Jahre her! Also eine kleine Verbrecherin, ...