1. Durch die Hecke


    Datum: 18.05.2019, Kategorien: CMNF

    ... überdies unverheiratet ... sie lebhaft und bestimmend, er ruhig und in der Rolle des stillen, aufmerksamen Helfers.
    
    Nein, der Vormieter musste die Hecke am unteren Ende des Grundstücks gemeint haben! Dort wuchs hinter einem höheren Zaun ein hoch aufragendes Thujadickicht, das praktisch keinerlei Durchblick erlaubte. Ohnehin hatte das Anwesen seine und Martinas Neugier geweckt. Haus und Grundstück waren ein gutes Stück größer als ihre eigenes; es schien dort sogar einen Pool im Garten zu geben. Doch leider waren die Nachbarn nicht zu Hause gewesen, als sie bei ihrer Vorstellungsrunde dort klingelten; und seither hatten sie von drüben keinen Mucks gehört. Nur abends fiel ab und zu ein schwacher Lichtschein durch die Nadelholzhecke, wenn drüben die Außenbeleuchtung brannte.
    
    Gernot war nicht der Typ, der Sache weiter nachzugehen. Zufrieden damit, eine wahrscheinliche Antwort auf die Frage nach der richtigen Hecke gefunden zu haben ... vielleicht mit einem leisen Bedauern, das vielleicht reizvolle Geschehen am Pool dort drüben nicht besser beobachten zu können ... wendete er sich wieder seinem Modellbaumagazin zu. Er war Modelleisenbahnfan, und das Studium der neuesten Modelllokomotiven lenkte ihn rasch und erfolgreich von weiteren Gedanken an Hecken, Pools und sonstige unerreichbare Träume ab.
    
    * * *
    
    Der Frühling kam in diesem Jahr unerwartet rasch in Schwung, und bald folgten die ersten wirklich warmen Tage. Es war Samstagnachmittag. Martina war mit ein paar ...
    ... Freundinnen aus ihrem Fitnessclub unterwegs, und Gernot sollte den Rasen mähen ... eine jener überschaubaren, lästigen Gartenarbeiten, die Martina ihm gerne zuteilte. Eine erste Übung mit dem neuen, elektrischen Rasenmäher unter Martinas Aufsicht war zu ihrer Zufriedenheit verlaufen. So hatte sie ihm ... "ach, stell dir einfach vor, es sei eine deiner geliebten Lokomotiven" ... diese Pflicht verordnet, nicht ohne anzudeuten, dass er ohne solche Hilfsleistungen kaum das Recht habe, die Freuden seines Liegestuhls oder andere Vorteile des Gartens zu genießen.
    
    Widerwillig brachte Gernot das grellrote Gerät in Position und zog eben die erste Schneise durch das unschuldig aufgeschossene Grün, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Büsche und Bäume hatten bereits ihre Blattknospen entfaltet, doch so richtig zugewachsen war die Hecke zum Nachbargrundstück noch nicht. So konnte er durch das Gewirr der Zweige und Blätter erkennen, dass sich drüben ... nur wenige Meter von ihm entfernt ... auf der Terrasse etwas regte.
    
    Gernot war von Natur aus nicht besonders neugierig. Doch es war noch knapp vor Ende der offiziellen Mittagsruhe, und er wollte niemanden stören. Also schaltete er den Mäher wieder aus und blickte vorsichtig durch die Hecke, um sich zu vergewissern, ob da nicht jemand ein Nickerchen hielt. Tatsächlich. Dort lag jemand. Die Nachbarin. Ulla. Ulla lag dort, kaum fünf Meter von ihm entfernt, auf einer großen, sehr bequem wirkenden Gartenliege in der Sonne ... die ...
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