Hast du zur Nacht gebetet, Desdemona?
Datum: 14.04.2019,
Kategorien:
Macht / Ohnmacht
... und Spitzenhäubchen servieren eiskalten Champagner in Kristallgläsern und köstliche Kanapees auf edlem Porzellan.
Beim Tanzen mit ihren Liebhabern werden die Wangen der Gräfin um eine Nuance röter, was perfekt zu ihrer Abendrobe paßt und ihr ein noch anziehenderes Aussehen gibt. Der breitschultrige Ackerbauminister aus Tirol im Frack mit Ordensstern auf der Brust wirbelt Desdemona beim Walzer herum, als ob es sich um eine Polka bei einem Oberländer Dorffest handelte. Sie erinnert sich mit Vergnügen, daß der Schloßbesitzer aus altem Adel auch im Bett so stürmisch ist. Unermüdlich hat er ihr's besorgt bis sie erschöpft um Gnade gefleht hat. Feldmarschalleutnant von Bernatzky, das Monokel im rechten Auge, steht steif, wie wenn er gerade einen Stock verschluckt hätte, am Fenster und schaut neidisch zu. Offiziere sind nicht so der Seitensprung-Fall für Desdemona, die den Korpsgeist fürchtet, der zu Indiskretionen ihrem Ehemann gegenüber führen könnten. Und die Disziplin der Armee herrscht für sie ohnehin zu Hause, wenn der General anwesend ist.
Bernatzky schielt einem kleinen blonden Serviermädchen in den freizügigen Ausschnitt und überlegt, daß ein schnelles Techtelmechtel mit schutzlosen Dienstboten doch auch seinen Reiz hat. Und vor allem drohen danach keine unerfreulichen Komplikationen wie lästige Ehrenhändel oder gar Duelle auf Leben und Tod. Der Minister atmet ein paar Mal tief durch und führt Desdemona nach dem letzten Tanz zurück an ihren Platz. Dort wartet ...
... bereits eine Gruppe Diplomaten in Dienstuniformen, die angeregt auf Französisch parliert. Wenn sie nicht alles täuscht, hört die Gräfin noch kompromittierende Wortfolgen wie "la petite mort", "der kleine Tod", eine galante Umschreibung für den Orgasmus. Oh ja, beim französischen Botschafter ist sie bereits viele kleine Tode gestorben! Als die Dame hinzutritt, wechseln die Herren abrupt das Thema und überhäufen Desdemona mit höflichen Komplimenten für ihr Abendkleid und die gelungene Soirée.
Kurz vor Mitternacht entschuldigt sich die Gräfin bei ihren Gästen, um sich in ihr Schlafzimmer zurückzuziehen. Das für die Jahreszeit ungewöhnlich warme und trockene Wetter hat sie müde gemacht. Der neapolitanische Botschafter Cassio Conte di Capodimonte bietet ihr seinen Arm an. Seit Monaten macht er ihr bereits erfolglos den Hof. Die Gräfin versucht, peinlich genau jede geringste Kleinigkeit, die ihn bei seiner hoffnungslosen schmachtenden Verehrung ermutigen könnte, zu vermeiden. Er ist ihr einfach zu alt und zu schmierig. Beim Stiegenabsatz verabschiedet sich der Conte mit einer formvollendeten Verbeugung. Die Gräfin reicht ihm die Hand zum Kuß und verliert dabei, ohne es zu bemerken, das bestickte seidene Taschentuch, das sie im Ärmel stecken hat. Beglückt hebt der Botschafter das Tuch auf, riecht daran und steckt es wie eine Trophäe in seine Brusttasche. Er wird hart bei dem Gedanken, daß seine Angebetete den Stoff immer wieder mit ihren vollen Lippen berührt hat.
Als der ...