Handikap
Datum: 27.07.2020,
Kategorien:
Romantisch
... Helen hatte es sich zudem in den Kopf gesetzt, dass ihr Zukünftiger keinesfalls wesentlich gehandikapt sein dürfe. Bedeutsames Kriterium für sie war schon, dass er beweglich sein und sie im Bett wie eine gesunde Frau befriedigen können müsse. Wer sie wirklich begehre - das sagte sie mit ähnlichen Worten -, dürfe sich an der Lähmung des Unterleibs nicht stören und müsse sie wie eine énormale' Frau nehmen können. Helen war wohl bewusst, dass sie damit die Latte ihrer Anforderungen nicht gerade niedrig gelegt hatte. Denn es war selbstverständlich, dass ihr neuer Freund ihr auch im Übrigen zugetan sein müsste. Er solle zärtlich und liebevoll sein, sein Äußeres solle nicht gerade abschreckend wirken, und finanziell unabhängig sollte er auch sein. Ich habe Helen vorsichtig darauf hingedeutet, dass diese Eigenschaften schon im Allgemeinen schwer zu finden seien. Sie hätte als Nichtbehinderte möglicherweise jahrelang suchen müssen. Als Querschnittsgelähmte wären ihre Chancen noch geringer. Aber diese Argumente fochten sie nicht an. Helens zuweilen festzustellende geistige Unbeweglichkeit schien durch diesen Disko-Besuch in ihr Gegenteil verkehrt und einer geradezu euphorischen Hoffnung auf ein Leben mit Bewegung gewichen zu sein.
Ich hatte in der Tat Mühe, sie von ihren unrealistischen Wünschen abzuhalten. Es war eine Zeit, in der wir manche Auseinandersetzung hatten. Aber unsere Zuwendung war so stark, dass wir beide nie auch nur einen Gedanken darauf verwendet hätten, uns im ...
... Bösen zu trennen. So bestand ein wesentlicher Teil unserer Gespräche von nun an darin, wie ich Helen helfen könnte, ihren besonderen Herzenswunsch zu erfüllen.
Und dann kam es zu einer ersten Zusammenkunft. Helen hatte mich gebeten, sie in das Cafe, ihren Treffpunkt, zu begleiten. Ich sollte mir von dem Mann einen Eindruck verschaffen und sie dann allein lassen. Helen hatte den Kontakt zu Hans über eine Kontaktanzeige im Internet hergestellt. Und Hans schien auf den ersten Blick in der Tat ein netter Bursche zu sein. Er war etwas klein und schmächtig gebaut, war von Beruf Ingenieur und machte zunächst einen durchaus passablen Eindruck auf mich. Was mir Anfangs nicht so aufgefallen war, war ein zeitweiliges merkwürdiges Schnaufen durch die Nase. Ich hielt es für eine dumme Marotte. Aber nach einer halben Stunde am Tisch stieß mir dieses merkwürdige Verhalten dann doch auf. Und nach einer weiteren halben Stunde, die ich draußen im Park bei angenehmer Frühlingsluft verbracht hatte, erreichte mich Helens Anruf. Ich sollte sie nach Hause fahren. Schon auf dem Heimweg waren wir eins: Dieses ungewöhnliche Schnaufen war keine Schrulle; Hans musste einen uns unerklärlichen psychischen Defekt haben. Das passte zu Helens Beobachtung. Als sie zurück von der Toilette kam, wo sie sich die Hände gewaschen und den Lippenstift nachgezogen hatte, saß ihr Verehrer starr dreinblickend am Tisch und begann auch noch seinen Kopf irr zu schütteln. Das war dann das Aufbruchssignal für Helen.
Und ...