1. Die Zeitzeugin


    Datum: 01.07.2020, Kategorien: Betagt,

    ... beschließe, heute Abend mal wieder zu versuchen, bei meiner Frau zu landen. Und sollte sie ausnahmsweise mal Lust haben, könnte ich beim Sex durchaus an Frau Müller denken. Oder -- was bei meiner Frau und ihrem Desinteresse an Sex wahrscheinlicher war -- beim Wichsen.
    
    Nach einiger Zeit komme ich routinemäßig auf die Sportvereine des Ortes zu sprechen. Über den Fußballverein weiß Frau Müller wenig zu sagen. Das hätte auch kaum zu ihr gepasst.
    
    "Und der Kegelverein? Hatten Sie zu dem Kontakt?" Sicher auch nicht. Ich konnte sie mir jedenfalls nicht mit einer Kegelkugel vorstellen.
    
    Die Reaktion von Frau Müller überrascht mich. Sie wird etwas rot und lacht verlegen.
    
    "Der Kegelclub?", meint sie, mich schelmisch anlächelnd.
    
    "Äh ja, der Kegelclub. Der dahinten am Waldrand, hinter der alten LPG. Aber das war wohl nicht Ihr Ding?"
    
    Sie lacht wieder. "Nun, wie man es nimmt...."
    
    „Wie man es nimmt?" Ich kann ihr nicht folgen. War sie nun in dem Kegelverein gewesen oder nicht?
    
    Sie sieht mein verständnisloses Gesicht.
    
    "Sie wissen es nicht, oder?"
    
    "Was weiß ich nicht?"
    
    "Wofür der Kegelclub wirklich genutzt wurde."
    
    "Nein." Zu dem Verein hatte ich bisher kaum Informationen bekommen, er war auch kaum von Bedeutung für mich gewesen. Wen interessierte schon der Dorfkegelmeister von 1967 oder 1982? Und wozu sollte es einen Kegelverein geben wenn nicht zum Kegeln?
    
    "Das dachte ich mir schon. Die haben Ihnen nichts erzählt, oder?" Sie lachte wieder.
    
    "Ich weiß ...
    ... wirklich nicht, was Sie meinen." Ich bin verwirrt.
    
    "Nun, der Kegelclub hatte ein kleines Geheimnis. Nach vorne sah er wirklich so aus wie ein Kegelverein. Aber hinten, im hinteren Bereich, hatte er eine ganz andere Bedeutung."
    
    "Wirklich, welche denn?" Ich bin neugierig geworden. Was hatte sich hier verborgen? Ein geheimer Dorfladen mit Westprodukten? Eine Abschussrampe der NVA? Oder eine Widerstandsgruppe gegen die SED?
    
    Frau Müller blickt mich an. Sie scheint zu überlegen, ob sie mir das Geheimnis anvertrauen kann. Dann gibt sie sich einen Ruck. "Na gut, ich sage es Ihnen. Aber ich glaube nicht, dass Sie das in der Dorfchronik erwähnen können."
    
    Jetzt platze ich fast vor Neugier. Unser Dorf hat ein Geheimnis. Meine Frau wird Augen machen, wenn ich ihr das erzähle.
    
    "Also gut. Im hinteren Teil vom Kegelverein 'Einheit', wie er ja hieß, fand eine ganz andere Art von Vereinigung statt. Da war nämlich seit etwa 1983 ein Swingerclub."
    
    "NEIN!", bricht es auch mir heraus. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit.
    
    "Aber sicher." Frau Müller lehnt sich auf dem Sofa zurück und beobachtet amüsiert meine Reaktion.
    
    Doch da kommt mir ein Gedanke. Sie muss hier die Worte verwechselt haben. Swingerclubs gab es in der DDR nicht. Die Sexualmoral war zwar nicht besonders hoch, aber offiziell wurden solche Auswüchse wie Swingen als Zeichen westlich-kapitalistischer Dekadenz angesehen. Ein Swingerclub wäre im Osten binnen Tagen geschlossen und vermutlich strafrechtlich ...
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