1. Heiße Silvesternacht


    Datum: 22.04.2020, Kategorien: Macht / Ohnmacht

    Bereits seit 25 Jahren ist der Silvesterpfad in der Wiener Innenstadt Tradition. Die Fußgängerzone mit Punschstandeln und Neujahrsartikeln, die Sektbuden und die Tanzbühnen locken alljährlich Hunderttausende Touristen und Einheimische an. Die Stimmung ist ausgelassen fröhlich, aber seit dem Knallkörperverbot vor ein paar Jahren nicht mehr laut und wild.
    
    Meine norddeutsche Freundin Heike und ich beginnen den Abend ruhig und stilvoll in der Champagnerbar "Le Cru" hinter der Peterskirche. In diesem Eldorado für Liebhaber des französischen Perlgetränks finden sich hunderte bekannte und weniger bekannte Marken des Schaumweines aus der Champagne, darunter auch sündteure Raritäten für echte Kenner. Am großen hohen Tisch sitzen auf ledernen Barhockern ein paar Schickimickis, deren Unterhaltung bereits am Nachmittag einen ziemlich hohen Alkoholpegel verrät.
    
    "Ich kann jede haben! Absolut jede", tönt ein nicht mehr ganz jugendlicher Blonder in Designerklamotten. "Schon gut, Einbildung ist auch eine Bildung!", prostet ihm sein gleichaltriger Freund zu. Die hübschen Mädels mit den kurzen Röcken, schwarzen Strümpfen und High Heels kichern und unterhalten sich weiter über Kosmetika und Schuhe.
    
    "So ein widerlicher Angeber!", flüstert mir Heike zu. "Ja, der Alkohol zeigt den wahren Charakter!", antworte ich. "Obwohl gerade zu Silvester so ein schneller Aufriß schon im Bereich des Möglichen ist. Die Magie des Zeitenwechsels, Kampf der Vergänglichkeit, Lust am Amusement ...", sinniere ...
    ... ich.
    
    "Wenn Du es schaffst, einen dieser heißen Feger abzuschleppen, überlasse ich Dir mein Hotelzimmer und Du kannst sie dort nach Belieben flachlegen!", lockt Heike. "Topp, die Wette gilt! Bis Mitternacht überrede ich eine von denen und schleppe sie in Dein Zimmer ab! Du kannst Dich ja einstweilen am Silvesterpfad herumtreiben, tanzen und ab 2 Uhr Früh steht Dir Dein Zimmer wieder zur Verfügung!"
    
    Für 20 Uhr sind wir mit Freunden zum Silvesterdinner in der Onyx Bar hoch oben im Haas Haus direkt am Stephansplatz verabredet. Ich dränge zum Aufbruch, weil ich pünktlich sein will und weiß, daß wir für die paar hundert Meter im dichten Gedränge wohl mindestens eine Viertelstunde rechnen müssen.
    
    "Und was ist jetzt mit Deinem Aufriß?", fragt Heike ein wenig enttäuscht. "Bis Mitternacht ist da noch mehr als genug Zeit!", lächle ich siegesgewiß. "Die laufen hier nicht weg und wenn die Stimmung unter Champagnereinfluß noch weiter steigt, schlage ich zu!"
    
    Wie genießen die herrliche Aussicht von oben auf die feiernden Massen am Stephansplatz, Graben und in der Kärntnerstraße tief unter uns und stoßen auf der Terrasse des Haas Hauses auf das Neue Jahr 2015 an. Im Westen sieht man von Wienerwald her Feuerwerkskörper aufsteigen, der Silvesterflug der Austrian Airlines kreist über der Stadt. Vor dem Dom ist eine große Freiluftbühne aufgebaut, auf der verschiedene Künstler Walzer spielen. Die tiefen Klänge der Pummerin, der größten Glocke des Doms aus erbeuteten türkischen Kanonen ...
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