1. Wahlverwandschaften Teil 01


    Datum: 11.07.2019, Kategorien: Transen

    ... das schockiert."
    
    Ich reiße mich zusammen. Ich bin doch diejenige gewesen, die vorgestern die Initiative ergriffen hat. Die Stimme von Chris und das gewinnende Lächeln sind immer noch identisch und erinnern mich an das innige Tanzen und Gespräch. Es ist die Person hinter dem Äußeren, die zu mir ‚spricht'.
    
    „Chris, ich habe kein Recht schockiert zu sein. Du hättest eher ein Recht ärgerlich zu sein, ich habe mit den Halbwahrheiten angefangen, nicht du. Und es ist Karneval..."
    
    Chris zögert sichtlich, aber dann blickt sie mich ernst an und beginnt noch mehr zu erklären:
    
    „Alex, es war das erste Mal, dass ich voll als Mädchen akzeptiert worden bin. Das war für mich emotional aufwühlend, mehr als ich erwartet habe. Du hast mir damit ein ungeheuer wertvolles Geschenk gemacht. Ich habe das außer meiner Mutter noch keinem in dem Umfang erzählt, aber dir kann ich das jetzt anvertrauen."
    
    Chris sieht mich prüfend an, als ich nicht unterbreche, sondern geduldig zuhöre. Sie holt tief Luft und startet:
    
    „Du solltest wissen, dass ich in Berlin zwar ein Außenseiter bin, aber dass ich versuche für meinen Vater und alle anderen die Jungenrolle zu akzeptieren, wenn auch mit inneren Spannungen. Meiner Mutter habe ich es zu verdanken, dass ich bis jetzt noch mit pubertätsunterdrückenden Medikamenten arbeiten kann, aber sie fordert von mir bald eine Entscheidung zu treffen. Gestern habe ich mich endlich gründlich untersuchen lassen -- ich habe Pseudohermaphroditismus femininus. Ich ...
    ... höre jetzt mit der Verzögerungstherapie auf und lasse mich ganz auf die weibliche Rolle ein. Das wird bei meinem Vater und bei meinen Schulkameraden für Verständnisproblem sorgen, aber das kann ich nicht ändern. So, das musste heraus. Ich bin dir nicht böse, wenn du mit so einem komplizierten Wesen wie mir nichts zu tun haben willst."
    
    Das was ich da bisher gehört habe, ist sicherlich nur ein Teil des Ganzen, denn was z.B. das Pseudoding sein soll, erschließt sich mir nicht. Aber ist das so wichtig? Wir können uns gut unterhalten und ich habe schließlich auch Dinge verschwiegen. Am Donnerstag sind einige meiner Vorurteile ins Wanken geraten und jetzt wohl noch weitere.
    
    „Chris, wir setzen einfach alles auf Null zurück und tun so, als ob wir uns jetzt das erste Mal treffen, einverstanden? Also ich bin Alexandra, kurz Alex genannt. Ich bin eine Frau, die gerne burschikos auftritt und weiblich aussehende, anmutige Wesen liebt und ich bekenne mich im Privatleben dazu. Ich komme aus Hamburg und mag im Karneval gern tanzen und flirten."
    
    Ich sehe Chris auffordernd an. Chris zögert und ich sehe regelrecht, wie sich das Räderwerk in dem hübschen Köpfchen rasant dreht und Chris langsam begreift, was meine Idee ist.
    
    „Gut, Alex. Ich bin Christian, kurz Chris genannt, und ich bin ein femininer Junge, der lieber ganz fraulich sein möchte und ich will mich in Zukunft auch im Alltag dazu bekennen. Ich mag männlich aussehende, bestimmende Wesen, die mich ganz als Mädchen ansehen. Ich ...